Spekulantenspiele

Nicht alle New Yorker sind glücklich über die Kandidatur der Stadt für die Olympischen Spiele des Jahres 2012

NEW YORK taz ■ Wenn man Richard Rosenthal auf die Olympiabewerbung New Yorks für 2012 anspricht, dann hält es ihn nicht mehr im Sessel. „Da haben wir die reichen Konservativen in dieser Stadt, die keine Gelegenheit auslassen, ihren Wirtschaftsliberalismus vor sich her zu tragen“, sagt der bekennende Linke und Vorsitzende des New Yorker Radsportclubs NYCC. „Und dann halten sie die Hand auf und sagen: Gebt mir 900 Millionen Dollar Steuergelder für mein neues Stadion.“

Glaubt man Dan Doctoroff, Vorsitzender von „NYC 2012“, dem Komitee für die New Yorker Olympiabewerbung und stellvertretender Bürgermeister der Stadt, ist Rosenthal Teil einer kleinen Minderheit. „Die Quote der Zustimmung zu den Spielen in der Bevölkerung beträgt 7:1“, behauptet Doctoroff. Diese Quote wäre kein Wunder. Denn nicht nur die Stadtregierung ist von Managern der Olympiakampagne durchsetzt, sondern auch die wichtigsten Medien der Stadt sind es: Die Verleger der beiden größten Zeitungen, Russell Lewis von der New York Times und Mort Zuckerman von den Daily News, gehören dem Bewerbungskomitee an.

Dennoch sind die Stimmen derer unüberhörbar, denen es lieber wäre, wenn das US-NOK am morgigen Sonntag den verbliebenen Konkurrenten San Francisco ins Rennen um die Ringe schicken würden. „Die Bewerbung ist ein nur spärlich maskierter Versuch, den Weg für spekulative Investitionen in der Westside zu ebnen“, sagt beispielsweise John Fischer, Sprecher einer Anwohnervereinigung in dieser Gegend.

Die New Yorker Westside, die Gegend am Hudson-River zwischen 20th und 40th Street, ist das letzte Brachland in Manhattan. Mit Hilfe der Olympischen Spiele soll die Gegend eine neue Infrastruktur erhalten. Das Olympiastadion soll dort errichtet werden und mit ihm eine Anbindung an den öffentlichen und privaten Nahverkehr geschaffen. Im Windschatten dieser Projekte hofft Doctoroff auf ein Erblühen der früher als Hell’s Kitchen bekannten Werftgegend, die mit dem Niedergang New Yorks als Hafen nach dem Zweiten Weltkrieg ausstarb. „Die Olympischen Spiele sind ein Katalysator“, sagt Doctoroff. „Mit ihnen lassen sich Projekte stemmen, die man sonst vielleicht gar nicht angehen würde.“

Viele New Yorker haben jedoch die Befürchtung, dass das Kapital damit nur sich selbst hilft. John Fischer etwa möchte in Zukunft auf der Westside eine gemischte Nutzung für Gewerbe und Wohnungen sehen. Da aber auch die Chase Manhattan Bank und American Express dem Bewerbungskomitee NYC 2012 angehören, befürchtet Fischer vor allem eine einseitige kommerzielle Nutzung.

Den Verdacht, das Big Business wolle die Spiele, um Steuergelder für seine Expansionspläne locker zu machen, bestreitet Doctoroff entschieden. Kein einziger Cent Steuergeld würde für den Bau des neuen Stadions anfallen, alles sei durch Sponsorengelder und TV-Rechte abgedeckt. Außerdem hofft er, das Footballteam der New York Jets an Bord holen zu können, die mit dem Olympiastadion endlich eine Spielstätte mitten in der Stadt erhalten würden.

Die Zahlen allerdings sprechen gegen Doctoroff. Die Spiele von Atlanta haben die öffentliche Hand eine Milliarde Dollar für Infrastruktur, Bau- und Sicherheitsmaßnahmen gekostet, in Sydney waren es etwa 2,2 Milliarden. In New York gibt es bislang keine Sportstätte, die nicht gebaut oder komplett saniert werden müsste. Und dass die Jets für acht Heimspiele pro Jahr Milliarden investieren und Steuergelder schonen, bezweifeln die Skeptiker ebenfalls. In vergleichbaren Fällen, in Washington oder Carolina etwa, waren die Teams erst bereit einzusteigen, nachdem die öffentliche Hand eine Beteiligung am Bau der teuren Infrastruktur bewilligt hatte.

Das Argument, dass die weltweite Fernsehzeit kostenlose Imagewerbung sei und sich positiv auf den Tourismus auswirke, lassen Kritiker ebenfalls nicht gelten. Zum einen sei dieser Effekt zweifelhaft, so der Wirtschaftswissenschaftler Philip Porter. Zum anderen könne man New York nicht mit Seoul oder Barcelona vergleichen: „New York braucht diesen Imagezugewinn nicht.“

Die Aussicht, in finanzieller Krisenzeit unter olympischer Flagge mit Steuergeldern Expansionspläne der Großfirmen zu fördern, verstimmt die linksliberalen New Yorker, die trotz des zweiten republikanischen Bürgermeisters in Folge noch immer Gewicht besitzen. Die Stadt ist gerade dabei, wegen anhaltender Haushaltsmisere ihre Finanzhoheit an den Staat New York zu verlieren. Ein verärgerter Anrufer beim New York Public Radio: „Gerade bekommen wir gesagt, dass kein Geld mehr dafür da ist, den Müll zu recyceln, und jetzt sollen wir ein Stadion für eine Milliarde bauen?“ Doch die konservative Doktrin lautet, dass das, was für die Unternehmen gut ist, für alle gut ist. Und die Vertreter dieser Doktrin haben derzeit das Sagen in Amerika. Selbst in New York.

SEBASTIAN MOLL