Zwischenstopp auf dem See

Valerie und sein Fischkutter oder Der Fischer und seine Frau

Seit 30 Jahren fährt er auf dem Baikal, seine Frau sieht er nur ein paarmal im Jahr

von DINAH MÜNCHOW
und STEPHAN LISKOWSKY

Der Baikal ist vom Sturm aufgewühlt, die Wellen schlagen meterhoch. Ein wagemutiger Sportsegler ist nicht weit vom Severobaikalsker Hafen umgekippt. Nun ist er auf den umgedrehten weißen Bug geklettert und paddelt zum Steg zurück. „Fahrt ihr trotzdem raus?“, fragen wir die Fischer in einem kleinen Kabuff am Hafen. „Chui, kaneschno …“ – „Scheiße, klar doch.“ In abgetragener Armeejacke, Trainingshose und Badelatschen sitzt Kapitän Valerie ein paar Meter weiter auf einem schwarzen Poller. In Mat, einer russischen Vulgärsprache, handelt er mit uns knurrend den Fahrpreis aus.

Punkt vier nachmittags sind wir auf dem Kutter und legen ab. Der See ist jetzt glatt wie ein frisch ausgebreitetes Tischtuch. Die vierköpfige Mannschaft schläft unten in der Kajüte, nur der Schiffsjunge hält das Steuer und mustert uns skeptisch. An der Reling lehnt ein anderer Passagier, ein junger Mann in grünem Overall. Seine Jagdflinte liegt in einen Lappen gewickelt hinter ihm. Er möchte nur seinen Hund am anderen Ufer ausführen, versichert er uns. Dort, am anderen Ufer, erstreckt sich der Bargusin-Nationalpark, in dem der begehrte Zobel umherstreift. Für die Menschen am Ufer des Baikalsees ein lebensnotwendiges Kapital, doch die Jagd ist eigentlich streng verboten. Nach drei Stunden Fahrt steigt einer der Fischer an Deck. Wischt sich den Schlaf aus den Augen und entleert seine Blase in den See. Maxim ist hier zu Hause. Seit dreißig Jahren fährt er auf dem Baikal, seine Frau sieht er nur ein paarmal im Jahr. „Das reicht auch“, sagt er.

In der einsetzenden Dunkelheit verlassen wir den Kutter und baden später in den fast 50 Grad heißen Quellen. Luft und Wasser hier sind so sauber wie nirgendwo sonst in Russland.

In den heißen Sommermonaten ist das kaum bevölkerte Nordostufer des Baikalsees trotzdem alles andere als ein Paradies. Myriaden von Mücken saugen einen sprichwörtlich aus. Am nächsten Morgen sitzen wir deshalb wie Astronauten am Strand. Bis zum Haarschopf eingemummelt in Tücher und pausenlos eine Zigarette im Mund, schauen wir in den Nebel und warten auf Valerie und seinen Kutter. Die Laderäume müssten jetzt voll sein vom nächtlichen Fischfang. Schon seit einer Stunde hätte er hier sein müssen, da hören wir plötzlich Punkmusik im Nebel. Langsam zeichnen sich die Umrisse des Kutters ab. Die Mannschaft hat die Boxen voll aufgedreht und winkt uns fröhlich zu. Offensichtlich war der Fang der letzten Nacht gar nicht so übel.