vorlauf
: Sündenstolz der Nachgeborenen

Die Story: Mein Vater, der Mörder (Mo., 22.30 Uhr, WDR)

„Gutmenschentum“, dein Name sei Beate Niemann!

Sicher, es ist eine schreckliche Geschichte. Die Berlinerin Beate Niemann, geb. Sattler, erforscht seit ein paar Jahren das Leben ihrer Familie in der Nazizeit – und das geradezu mit Besessenheit, wie die WDR-Dokumentation des dreifachen Grimme-Preisträgers Yoash Tatari zeigt. Denn sie hat herausgefunden: Ihr Vater Bruno war, in ihren eigenen Worten, ein „Massenmörder“. Im Sommer 1942 leitete er im besetzten Belgrad den Einsatz der von ihm perfektionierten Gaswagen, in denen Juden systematisch erstickt wurden.

Beate Niemann kam zudem nach und nach durch Archivarbeit dahinter, dass ihr Vater ihr Geburtshaus von einer jüdischen Familie für einen Spottpreis erpresste. Auch von ihrer Mutter wurde Beate Niemann zeitlebens belogen: Ihr Vater saß als NS-Verbrecher bis zu seinem Tode 1972 in DDR-Haft – allerdings völlig zu Recht und eben nicht unschuldig, wie ihre Mutter immer behauptete.

Doch so aufregend und verstörend diese Geschichte ist, möchte man diese Dokumentation nach zehn Minuten am liebsten ausschalten: Beate Niemann ist einfach unerträglich. Sie hat das in Reinform, was der Philosoph Hermann Lübbe den „Sündenstolz“ der Nachgeborenen über die Schuld der Väter genannt hat. Natürlich ist sie auf Anti-NPD-Demos, selbstverständlich sucht sie fast zwanghaft die Nähe von NS-Opfern und schmiert allen, die es hören wollen oder nicht, aufs Butterbrot, dass ihr Vater ein Mörder gewesen sei.

Dazu passt, dass sich ihr permanentes Betroffenheitsgesicht in der 45-Minuten-Dokumentation nur einmal zu einem fast stolzen Lächeln verzieht: Als eine Jüdin Beate Niemann sagt, sie finde es „toll, dass Sie das alles erzählen“. Dass es am Ende nicht um ihren Vater oder ihre Mutter, auch nicht wirklich um die Opfer ihres Vaters, sondern allein um sie, Beate Niemann, geht, verdeutlicht ein Satz, der tatsächlich alles sagt: „In dem Augenblick großer Wut habe ich mich gefragt, warum mein Vater sich nicht selbst umgebracht hat? Warum hat er nicht wenigstens das für mich getan?“PHILLIPP GESSLER