putins russland
: Sowjetische Verhältnisse

In Russland halten die alten Mechanismen Einzug, die am besten ein Witz illustriert: Napoleon Bonaparte sitzt während einer Militärparade auf der Ehrentribüne vor dem Lenin-Mausoleum und liest die Prawda, das frühere Zentralorgan der Kommunistischen Partei. Nach intensiver Lektüre wendet er sich an Gastgeber Breschnew: „Mensch, mit so einer Zeitung hätte niemand etwas von meinem Waterloo erfahren.“

Kommentarvon KLAUS-HELGE DONATH

Unwahrheit regierte in Russland immer mit, inzwischen wird die Lüge wieder zum System erhoben. Die Verschärfung des Pressegesetzes im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Terror, Terrorismus und antiterroristische Maßnahmen verfolgt nur ein Ziel – die Simulation einer virtuellen Realität nach dem Motto: Russland ist stabil dank der umsichtigen Politik des Präsidenten und seiner immerwährenden Sorge um das Wohl des Volkes. In Wahrheit ist Russland so instabil wie nie zuvor, und eben das soll dieses Gesetz vertuschen.

Leider besteht die Gefahr, dass dieses Vorhaben gelingt. Selbst die letzten schwachen Häuflein demokratisch gesinnter Oppositioneller in der Duma knickten ein und verhalfen dem Maulkorbgesetz zum Durchbruch. Wer nicht konform geht, verlässt das imaginäre Bündnis zwischen Volk und Präsident und unterminiert das PR-Projekt „Putins Russland“. Das Ansinnen der Macht verwundert nicht, erschreckend ist die Gleichgültigkeit und Unterwürfigkeit der Gesellschaft, die sich wieder Richtung Unmündigkeit führen lässt – obwohl sie inzwischen alle analytischen Instrumentarien an der Hand hat, um das zu erkennen. Man muss hoffen, dass dies nur auf den vorübergehenden Schock der Geiselnahme zurückzuführen ist.

Immerhin hat Russland trotz aller Roll-back-Bewegungen auf der politischen Ebene in den letzten zwölf Jahren einen riesigen Entwicklungsschritt vollzogen. Auch im Rechtsbewusstsein. Gleichwohl: Nicht Russland als Ganzes, sondern Teile der Gesellschaft konnten sich trotz und eben nicht dank der Politik der Elite entwickeln. Der Graben zwischen Staat und Gesellschaft klafft so weit auseinander wie lange nicht mehr, und genau deshalb wird der Kult um Putin als Retter Russlands immer wichtiger.

Fatal ist, dass der Westen die antidemokratische Rückentwicklung seines Antiterrorpartners fördert. Denn humanitärer Fortschritt wurde in Russland immer nur dann erzielt, wenn der Westen darauf achtete.