Die Sucht an die Leine gelegt

Was passiert mit dem Hund, wenn Herrchen auf Entzug ist? Das „Idefix“-Projekt am Kottbusser Tor kümmert sich um herrenlose Vierbeiner ausstiegswilliger Junkies. Die Hundesitter sind selbst Ex-User

von KIRSTEN KÜPPERS

Der Industriekaufmann Christian R. hat jetzt einen mittelgroßen braunen Hund. Das Tier bestimmt neuerdings sein Leben. Christian R. füttert den Hund, er bürstet sein Fell und läuft mit ihm die Straßen entlang, vom Kottbusser Tor zum Mariannenplatz und weiter. Viele Stunden dauert die Beschäftigung mit dem Tier. Es vergeht kein Tag, an dem der 35-jährige Industriekaufmann Christian R. nicht Zeit hat für seinen neuen Hund.

Früher gab es ein Büro, wo man hinmusste, und einen Chef, erzählt Christian R.; eine adrette Wohnung in einer süddeutschen Provinzstadt, eine Freundin und ein schnelles Auto. Jetzt gibt es nur den braunen Mischlingshund. Zehn Jahre Drogenkarriere liegen zwischen diesen beiden Lebensmodellen. Eine hastige Abfolge von Diskothekenbesuchen, Amphetaminen am Arbeitsplatz, dann die Kündigung; eine Phase voll weißen Pulvers, fiebriger Rauschzustände und eines abgeschiedenen Therapiezentrums in der Eifel; da waren eine Zugfahrt in die Großstadt, Diebstähle in Supermärkten, Gerichtsverhandlungen, Geldstrafen; gegen Ende dann Methadon, Depressionen, Schweißausbrüche und immer wieder Rückfälle.

Vor einem Jahr hat Christian R. endgültig aufgehört mit dem Heroin. Seither hat er Zeit für Tierliebe, Platz für einen Hund, auch wenn es nicht sein eigener ist. Er arbeitet als Hundesitter bei „Idefix“, einer Kreuzberger Einrichtung für Hundebetreuung. Um den braunen Mischlingshund „Motte“ wird sich Christian R. so lange kümmern, bis die Besitzerin das wieder alleine übernehmen kann. Sie macht gerade eine Drogentherapie. „Wir telefonieren oft“, sagt Christian R.

Sein neuer Arbeitsplatz, das Idefix-Büro, befindet sich in einem der vielen Seitenarme des Hochhauskomplexes am Kottbusser Tor. Hier sitzt auch Sören Sörensen, der Sozialarbeiter. Er arbeitet seit vielen Jahren in der Drogenhilfe, fährt mit einem Beratungsmobil zu den Junkie-Treffpunkten der Stadt, gibt saubere Spritzen aus, verteilt Kondome. „Da fällt schon auf, wieviele Drogensüchtige einen Hund haben“, meint er. Deswegen gibt es seit Mai das Idefix-Projekt. „Hunde ersetzen den Junkies oft Freunde und Familie“, erklärt Sörensen. „Sie dienen aber auch oft als Ausrede, um einer Entziehungskur zu entgehen. Dieses Argument wollen wir den Junkies nehmen.“

Inzwischen läuft das Geschäft gut. Die zwölf Hundesitter sind langfristig ausgebucht. „Nur stundenweise können wir noch Tiere annehmen“, sagt Sörensen. Dabei kümmert sich „Idefix“ nicht nur um die drogensüchtige Klientel. Auch die Rentner aus der Umgebung bringen ihre Haustiere vorbei. Eine Stunde Hundebetreuung kostet bei Idefix einen Euro.

Wie Christian R. sind alle zwölf Hundesitter früher selbst lange Zeit süchtig gewesen. Um als Betreuer bei Idefix anzufangen, müssen sie „stabil substituiert“ sein, das heißt: sich in Behandlung eines Arztes befinden, der sie mit Ersatzstoffen wie Methadon, Subotex oder Polamidon versorgt. Dann werden die Hundebetreuer für die Arbeit geschult. Eine Mitarbeiterin vom Tierheim Berlin hält Vorträge über die Mimik und Gestik von Tieren, über Dominanzverhalten und wie man es schafft, von einem Schäferhund als Rudelsführer anerkannt zu werden.

Beim Industriekaufmann Christian R. und dem Hund „Motte“ war es ein Gefühlsüberschwang, mit dem das Verhältnis begann. „Am Anfang hab ich mich mehr um das Tier gekümmert als um mich“, meint R. „Alles andere hab ich vergessen: Ämtergänge, Einkaufen im Supermarkt, Kino, Termine beim Arzt. Das war ein Problem.“ Dann sagt er, dass er das Ganze jetzt besser im Griff hat.