Geregelter Gang vors Gericht

Der Senat bescheinigt sich heute eine extreme Haushaltsnotlage. Derart ausgestattet, fordert er erneut Sonderhilfen vom Bund. Kommen die nicht, geht’s nach Karlsruhe vor das Verfassungsgericht

von RICHARD ROTHER

Nachdem das informelle Gespräch zwischen Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in der vergangenen Woche kein Geld für Berlin gebracht hat, geht nun alles seinen geregelten Gang: Heute führt der Senat einen förmlichen Beschluss herbei, der der Stadt eine extreme Haushaltsnotlage bescheinigt. Dabei stützt sich der rot-rote Senat auf ein Gutachten des Frankfurter Finanzwissenschaftlers Joachim Wieland, nach dem Berlin unverschuldet in die Haushaltsnotlage geraten ist. Deshalb hat das Land Berlin nach Ansicht des Senates Anspruch auf zusätzliche Hilfen des Bundes. Mit den Hilfen sollen der Schuldenberg der Stadt, der bereits auf 46 Milliarden Euro angewachsen ist, abgebaut und so die jährlichen Haushalte von Zinszahlungen entlastet werden. In diesem Jahr gibt Berlin bereits 2,3 Milliarden Euro allein für Zinsen aus, mehr als 10 Prozent eines Jahresetats.

Mit dem förmlichen Beschluss in der Hand wird der Senat ein offizielles Treffen mit Bundesfinanzminister Eichel anberaumen. Aller Voraussicht nach wird Eichel bei seiner Ablehnung bleiben, Berlin Sondermittel zur Entschuldung zur Verfügung zu stellen. Hat der Senat einen ablehnenden Bescheid erhalten, will er unverzüglich Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen. Damit wird bereits im Januar kommenden Jahres gerechnet.

Das Verfahren in Karlsruhe wird allerdings mehrere Jahre in Anspruch nehmen; mit einer Entscheidung wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Zum Vergleich: Die Verfahren, mit denen sich die überschuldeten Bundesländer Saarland und Bremen 1992 Bundeshilfen erstritten, zogen sich sechs Jahre lang hin. Selbst ein für Berlin positives Urteil der Verfassungsrichter bedeutet noch nicht automatisch, dass sofort Gelder fließen. Zunächst müsste nämlich noch das Finanzausgleichsgesetz geändert werden, das die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern regelt. So weit ist es voraussichtlich im übernächsten Jahr nach der Urteilsverkündung.

Die ersten Milliarden – der Senat hofft auf mehr als 30 Milliarden Euro über mehrere Jahre verteilt – dürften also frühestens zum Ende des Jahrzehnts fließen. Bis dahin dürfte der zusätzliche Finanzbedarf Berlins auf 50 Milliarden Euro angewachsen sein. Der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser warnt denn auch den Bund: „Je länger es dauert, umso teurer wird es.“ Dass Eichel auf ein Karlsruher Urteil setzt, damit nicht nur der Bund, sondern auch die anderen Bundesländer für Berlin in die Pflicht genommen werden können, glaubt Esser nicht. „Der Bund könnte Hilfen für Berlin beschließen und diese Lasten auch auf die Länder verteilen.“ Sollten die potenziellen Geberländer damit nicht einverstanden sein, könnten sie immer noch in Karlsruhe klagen.

Dieser politische – im Gegensatz zum jetzt eingeschlagenen juristischen – Weg hat für Esser einen weiteren Vorteil. „Der moralische Druck, im öffentlichen Dienst einen Solidarpakt abzuschließen und den Landeshaushalt zu konsolidieren, würde enorm steigen.“ Ziehe sich der Bund aber nach Karlsruhe zurück, unterstütze er indirekt die Haltung, nur zu geben, wozu man juristisch verpflichtet werde. „Damit kriegen wir unseren Haushalt nicht saniert.“ Leidtragende seien viele kleine und soziale Projekte in den Kiezen, deren Finanzierung permanent überprüft wird. „Die können nicht mit einem Schein wedeln.“