Endlich raus aus der Hölle

Der DFB will den Anhängern der FC-Bayern-Sekte künftig den Ausstieg erleichtern

„Der Bayern-Virus muss mit Stumpf und Stiel ausgemerzt werden“, meint der DFB-Boss

Wenn Torsten Woncker frühmorgens seinen Dienst als Briefträger im Münchner Stadtteil Hasenbergl antritt, ist er ein Kollege unter vielen. Ein schlanker, hochgewachsener junger Mann mit Pferdeschwanz und blondem Vollbart, der in seiner Postler-Regenjacke den voll beladenen Wagen aus dem Amt schiebt. Erst wenn er sich unbeobachtet fühlt, bricht seine wahre Natur durch: Kaum sieht er eine Getränkedose am Straßenrand liegen, muss er wie unter Zwang mit ihr dribbeln. Und er macht das erstaunlich behände …

Seinen Kollegen ist Wonckers Dribbeltick natürlich nicht verborgen geblieben, aber sie nehmen es gelassen. „Torsten ist eben ein bisschen komisch, aber das sind viele bei der Post“, lautet dann der Kommentar. Was sie nicht ahnen: Torsten Woncker heißt in Wirklichkeit Carsten Jancker und war bis zum Ende der letzten Saison noch Stürmer und „Fußball-Gott“ beim FC Bayern München. Bis er den Verein – zum Schein in Richtung Udine – verließ, sich Haare und Bart wachsen ließ und mit einer neuen Identität ein neues Leben begann. Ein Leben ohne unmenschliche Trainingseinheiten und menschenverachtenden Rasierzwang. Torsten fühlt sich sichtlich wohl in seiner neuen Rolle: „Hier bei der Post kann ich mich endlich selbst verwirklichen und eine ruhige Kugel schieben.“ Wenn das der Kaiser wüsste …

Alles begann, als der FC Bayern in diesem Jahr nicht Deutscher Meister wurde. Eine tiefe Depression legte sich über die Mannschaft, für viele hatte das Fußballerleben keinen Sinn mehr. Als dann auch noch das blamable Aus in der Champions League dazukam, entlud sich der aufgestaute Frust in einem Aufstand der Mannschaft gegen das spielerverachtende Hitzfeld-System. Immer mehr unglaubliche Details aus der Bayern-Hölle drangen in die Öffentlichkeit. Thomas Linke: „Wenn wir mal wieder gegen eine Kellermannschaft wie Energie Cottbus verloren hatten, mussten wir fünf Stunden lang Einwurf üben. Das war Folter pur.“ Der Vorzeigeverein des deutschen Fußballs ein einziges Spielerinferno? Andere Profis bestätigen den unglaublichen Befund. „Ich will ja nicht rumzicken“, meint Alexander Zickler, „aber wie die Vereinsführung mit uns umgesprungen ist – Zwangsmaßnahmen, Strafgelder, wüste Beschimpfungen und Einschüchterungen –, das ist schon ein Fall für die UN-Menschenrechtskommission.“

So jedenfalls konnte es nicht weitergehen. Der Spieleraufstand beim FC Bayern drohte in offene Gewalt umzuschlagen. Deshalb entschloss sich der DFB zu drastischen Notmaßnahmen und richtete eine Telefon-Hotline ein. Das Projekt bietet ausstiegswilligen Spielern des FC Bayern München Hilfe beim Aufbau einer neuen Existenz. Der DFB hat ein entsprechendes Konzept für das „Herausbrechen von Führungsspielern“ vorgelegt. Danach sollen Experten Schlüsselspieler wie Oliver Kahn oder Michael Ballack bei der Ausstattung mit einer neuen Identität unterstützen. Der DFB überlegt auch, mit „Finanzhilfen“ den Ausstieg zu erleichtern. Der DFB rechnet mit Kosten bis zu 100.000 Euro pro Spieler. Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder: „Wenn jemand beim FC Bayern München aussteigen will, muss das dem DFB jede Mühe wert sein. Wir haben jahrelang Verbesserungen beim Verein angemahnt, und nichts ist passiert. Jetzt ist das Maß endgültig voll.“

Zumindest einige der Aussteiger sollen aber öffentlich gemacht werden, um „das Bayern-Umfeld zu verunsichern und zu zeigen, dass es auch ein Leben nach dem Fußball gibt“. Aus Sorge vor einer Diskreditierung des Programms sollen die Aussteigewilligen nämlich in keinem Fall eine Spielberechtigung für andere Vereine erhalten. „Der Bayern-Virus muss mit Stumpf und Stiel ausgemerzt werden“, argumentiert DFB-Boss Mayer-Vorfelder.

Bis zur nächsten Ligaausschusssitzung soll der DFB zudem ein eigenes Fan-Ausstiegsprogramm entwickeln. Eine 10- bis 15-köpfige „Beratungs- und Interventionsgruppe“ wird derzeit aus Fußballpsychologen, Pädagogen und Rasenschützern aufgebaut. „Wir gehen gezielt auf die zu, die wir kennen“, sagt der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands Erwin Rüger. So wurden im Rahmen einer „Gefährderansprache“ bisher 324 Bayern-Fans von DFB- Mitarbeitern zu Hause aufgesucht, 252 waren gesprächsbereit. 84 erklärten den Spielfeld-Workern sogar, dass sie sich aus der Bayern-Szene lösen wollten. Eine mühsame Aufgabe, aber nur mit beharrlicher Überzeugungsarbeit lässt sich der Bayern-Sympathisantensumpf trockenlegen und die Führungsriege des Vereins isolieren.

Die Bemühungen des DFB um ausstiegswillige Bayern-Spieler tragen bereits die ersten Früchte: So wie Carsten Jancker möchten noch weitere Bayern-Spieler aus dem Club aussteigen. Jens Jeremies will sich nach Südfrankreich absetzen und dort unter dem Decknamen Jean Jeremy als Dachdecker arbeiten, Mehmet Scholl plant als „Dr. Scholl“ eine zweite Karriere als Vertreter von Hühneraugenpflastern und Olliver Kahn will sich einen Kindheitstraum erfüllen und ist demnächst als Binnenschiffer auf dem Rhein unterwegs. Der deutsche Fußball darf also wieder hoffen … RÜDIGER KIND