lee miller: begegnung unter schwierigen bedingungen

Als 1989 mit „Lee Miller Photographer“ der erste große Katalog zu ihrem Werk erschien, eröffnete Jane Livingstone den Band mit einer 18-seitigen Bildstrecke, die keineswegs Aufnahmen der Fotografin zeigte. Sie bestand vielmehr aus Fotografien, die die berühmtesten Fotografen des 20. Jahrhunderts von Miller (1907–1977) gemacht hatten. Selbst eine Frau war Anfang der 90er-Jahre noch immer willens, das Klischee zu bedienen, anstatt es aufzuarbeiten. Lee Millers rasante Schönheit überstrahlt bis heute ihr Werk, das nur langsam bekannt wird. Eines der vielen Felder, auf denen Miller brillierte – ihr Beitrag zum Surrealismus ist nicht hoch genug einzuschätzen und als Kriegsberichterstatterin im Zweiten Weltkrieg zählt sie inzwischen zu den großen Fotojournalisten –, stellt nun Richard Calvocoressi, Direktor der Scottish National Gallery of Modern Art, mit dem Bildband „Lee Miller – Begegnungen“ (Nicolai Verlag, Berlin 2002, 34,90 Euro) vor: die Porträtfotografie. Neben Prominenten und Freunden, was oft dasselbe meint, finden sich eindringliche Fotografien der Londoner im „Blitz“, wie etwa die Aufnahme ihres Kollegen David Scherman (unser Bild), der Soldaten der US-Invasionsarmee in Frankreich, der befreiten Gefangenen in Dachau und Buchenwald und des nun selbst misshandelten NS-Personals. Der Band, der sehr disparates Material zusammenbringt, weckt die Neugierde auf die Fotografin. Doch noch immer fehlt die kohärente Publikation, die sie befriedigen könnte.  Wbg