Netanjahu bedrängt Scharon

Israels ehemaliger Regierungschef macht seine Ernennung zum Außenminister von vorgezogenen Neuwahlen abhängig. Er möchte selbst Ministerpräsident werden. Das missfällt dem Amtsinhaber. Misstrauensvotum gegen Scharon scheitert

aus Jerusalem ANNE PONGER

Israels Exministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den Regierungschef Ariel Scharon vor ein unerwartetes Dilemma gestellt. Denn der Likud-interne Herausforderer Scharons ist prinzipiell bereit, den Posten des Außenministers in einer kleinen Koalition anzunehmen. Scharon hatte letzte Woche angekündigt, er strebe eine regierungsfähige kleine Rechtskoalition an und wolle verfrühte Neuwahlen vermeiden. Er hatte eine Absage von Netanjahu erwartet, was ihm die Möglichkeit gegeben hätte, seinen Erzkonkurrenten vor Likud-Wählern als spaltende Kraft zu diskreditieren. Netanjahu will sich bei den bevorstehenden Likud-Vorwahlen gegen Scharon um den Posten des Parteichefs bewerben, der automatisch Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten bedeutet. Aktuelle Umfragen unter Likud-Mitgliedern prophezeien ein Kopf-an-Kopf-Rennen .

Die Zusage Netanjahus ist an Bedingungen geknüpft, die in dramatischem Gegensatz zu den Plänen Scharons stehen. Netanjahu will nur Außenminister einer Übergangsregierung werden, die einen nahen Termin für vorgezogene Neuwahlen setzt. Überdies knüpfte Netanjahu politische Konditionen an seine Verfügbarkeit, zu denen ein neuer Wirtschaftsplan, die Ausweisung von Palästinenserchef Arafat, die Verlegung des derzeit entstehenden Sicherheitszauns entlang der grünen Linie und die erklärte Opposition gegen einen Palästinenserstaat gehören.

Scharon-Berater kolportierten, der Ministerpräsident sei wütend über die öffentliche Darlegung von Netanjahus Bedingungen, deren Annahme zu Problemen mit Washington führen würde. Netanjahu hatte seine Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen unter anderem mit dem Argument begründet, Umfragen versprächen dem Likud nächstes Mal bis zu 40 Sitze. Überdies stehe Israels Wirtschaft vor dem totalen Zusammenbruch und sei im kommenden Jahr nicht mehr zu retten, wenn „sechs Parteien die Regierung täglich finanziell erpressten“.

Netanjahus erklärte Sorge um die Wirtschaft wird von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung geteilt. Nach einem am Montag vorgelegten Jahresbericht des Arbeits- und Sozialministeriums ist die Bedürftigkeit israelischer Bürger um 7,4 Prozent gestiegen und betraf im vergangenen Jahr weitere 80.000 Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Zuvor waren fast 2 Millionen Israelis als arm definiert worden.

Scharons Netanjahu-Manöver stellt ihn erneut vor das Problem, wie er weiteren politischen Schaden – intern und international – von sich abwendet. Er kann sich kaum darauf verlassen, alle in nächster Zeit einlaufenden Misstrauensanträge zu überleben, doch muss er es zumindest schaffen, den Haushaltsentwurf 2003 zu verabschieden. Das Rechtsaußenbündnis „Unser Haus Israel – Nationale Union“ scheint keine Eile zu haben, der Koalition beizutreten, hegt es doch selbst die Hoffnung, bei Neuwahlen 11 statt der bisher 7 Mandate zu erlangen. Nutznießer des Regierungschaos ist die Arbeitspartei. Jeder weitere Tag ohne funktionsfähige Regierung, mit Uneinigkeit im Likud und mit offen zur Schau getragener Konkurrenz zwischen Scharon und Netanjahu stärkt die Arbeitspartei.

Scharon überstand am gestrigen Abend im Parlament drei gegen seine Regierung gerichtete Misstrauensabstimmungen. Zuvor hatte die Knesset der Berufung des früheren Armeechefs Schaul Mofas zum neuen Verteidigungsminister zugestimmt.