Der CIA als Märchenonkel

In seinem Stück „Bin Laden. Wunderlampe“ entwirft der Dramatiker Alexej Schipenko bin Laden als Schauspieler des CIA und erzählt arabische Märchen. Eine Lesung im Malersaal des Schaupielhauses

von KATRIN JÄGER

Ein gutes Jahr ist vergangen, seitdem die Flugzeuge ins World Trade Center gerauscht sind. Auf der politischen Weltbühne tummelt sich seit jenem 11. September der Name bin Laden als Metapher des Bösen, jedenfalls aus westlicher Sicht. Schrecken will ästhetisiert werden, dachte sich der Dramatiker Alexej Schipenko. Der russische Vielschreiber hat aus bin Laden nun eine literarische Figur gemacht.

„Eine Art Geist“ sei er darin für ihn, daher auch der Name seines neuen, noch unveröffentlichten Stücks: Bin Laden. Wunderlampe. Wer den Wahlberliner Schipenko kennt, wird ahnen, dass er sich nicht damit zufrieden gibt, den Unhold als Märchenfigur aus Tausendundeiner Nacht zu skizzieren. Seinem Stil entsprechend entwirft drei Handlungsstränge und verwebt er sie zu einem bunten, zuweilen knotigen Wortteppich.

Alles fängt ganz harmlos an, schöner als im richtigen Leben. Da hat das vierte Flugzeug aufgrund eines Passagieraufstands nicht das Weiße Haus gerammt, sondern zerschellte im US-amerikanischen Niemandsland. Bei Schipenko kommt der Luftpirat selbst auf die Idee, den Regierungssitz unbeschadet zu lassen und stattdessen irgendwo unterzutauchen. Er landet also sanft, die Passagiere kommen mit dem Leben davon, und der bekehrte Islamist macht eine Traumkarrier als Professor für arabische Literatur an der Universität von San Francisco.

Im Jahr 2024 weilt eben dieser Hochschullehrer in Lissabon, wo er die Geschichte seinem sympathischen Kellner erzählt. Der staunt nicht schlecht und stirbt wenig später an Herzversagen. Angeblich. Oder hatte der Geheimdienst seine Hände im Spiel? Hier treffen erster und zweiter Handlungsstrang aufeinander. Der zweite beleuchtet die Machenschaften des CIA, nicht ohne die Andeutung, der habe vielleicht selbst seine Hände bei den Anschlägen im Spiel gehabt. Schipenko lässt im Keller des CIA auf einem Monitor ein Interview mit bin Laden laufen. „Ganz süß ist dieser bin Laden, ganz niedlich, nicht wie das große Ungeheuer“, so der Autor.

Das Interview ist gestellt, eine Produktion des CIA-TV. „Man weiß nicht, ist das der richtige bin Laden oder ein Schauspieler? Das wissen wir im wahren Leben auch nicht. Die meisten halten das, was uns im Fernsehen als politische Realität verkauft wird, für wahr. Das, was wir mitkriegen, sind nur Fetzen von irgendwelchen Lügen, Verschwörungen und Komplotte.“ Was ist real, was Märchen, und zu welchem Zweck, fragt der Autor mit dem Stück, das eine Fortsetzung von Baudrillards Amerika sein könnte.

Um die Aussage noch stärker zu verdichten, wiederbelebt Schipenko in seinem dritten Handlungsstrang Scheiche und andere Figuren aus arabischen Märchen des Mittelalters. Sie zeigen diese Welt von einer dem westlichen Blick verborgenen Seite, gehen auf deren Philosophie und Traditionen ein. Die Wunderlampe bleibt bin Ladens Geheimnis. „Für mich ist es wichtig, dass diese Wunderlampe nicht irgendein Gerät ist, oder ein Zauberinstrument, es ist Wille, verbunden mit einem starken Gefühl, Liebe, Hass oder so was“, erläutert Schipenko.

Obwohl bin Laden in seinem Stück erstaunlich gut weg kommt, bestreitet der Autor jegliche Art von Parteinahme. „Ich bleibe unpolitisch in dem Stück und erzähle etwas über Menschen. Was die fühlen und glauben. So zeige ich, warum die Welt so ist wie sie ist. Es wird klar, dass Politik ein großes Schauspiel ist. Man kann über die politische Realität genau so reden wie über die Realität eines Märchens.“ Kann man? Das wird sich zeigen, wenn Schipenko heute zum ersten Mal öffentlich Bin Laden. Wunderlampe präsentiert. Zusammen mit seiner Übersetzerin Anna Langhoff und dem Schauspieler Adnan Maral, der die arabischen Passagen liest. Für Diskussionsstoff mit dem Publikum dürfte gesorgt sein.

Lesung heute, 20 Uhr, Malersaal