berliner szenen Zehnmal Annika

Im Stehen, mit Gipsbein

Im Roten Salon ist kein Sitzplatz mehr frei, so viele Annika-Interessierte sind gekommen, viele junge Frauen mit langem blondem Haar, aber auch düster blickende Männer, die sich Notizen machen. Die Autoren platzieren sich auf der Bühne, hinter dem langen Tisch mit den Mikrofonen. „Annika ist jung, sexy, melancholisch, wild, entschlossen und ein bisschen verrückt“ steht auf dem Programmzettel.

Die Herausgeberin stellt sich vor und klärt auf: Warum ausgerechnet Annika, ein Name, der im Deutschen nicht geläufig ist? Annika klinge so wie Amica, und die bekannte Literaturzeitschrift Amica hat Fotos einer jungen Frau an „33 unserer besten Autoren“ geschickt: „Schreiben sie eine Geschichte über Annika, nicht mehr als 3.000 Zeichen.“ Diese Geschichten sind jetzt im Kurzgeschichtenband „Annika. Sie ist wie du und ich“ versammelt, und fünf Autoren sind auf Tour. Sie lesen jeweils eine fremde und eine eigene Annika-Geschichte. Maxim Biller fängt mit Else Buschheuer an. Annika hat praktisch immer Sex oder bekommt Sexangebote, im Stehen, mit Gipsbein, gegenüber der Gethsemane-Kirche, nach dem Vorstellungsgespräch, aber alle Männer sind die falschen. Die langweiligen, feigen, belehrenden Männer werden von den Autoren liebevoll charakterisiert, Annika bleibt meist farblos. Sie liest Amica, ist mit zwei Medizinern, einem jüdischen Journalisten, einem Epileptiker zusammen, zweimal fährt sie zum Urlaub nach Italien, ist Studentin, Kellnerin.

Das Publikum lacht dankbar, wenn in den Geschichten etwas passiert, wenn aufs Kotzen Küssen folgt. Zehn Geschichten von Annika waren das. Wer Fragen hat, soll sie an der Bar stellen, danach ist Elektrolounge.

CHRISTIANE RÖSINGER