strafplanet erde: der lieblingswitzerzähler von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Ein Mensch, von dem allgemein bekannt ist, der notorisch dafür bekannt ist, dass er sich so gut wie rein gar nichts merken kann, sich demnach auch keine Witze merken kann, macht einen ziemlich behämmerten Eindruck, wirkt, als sei er nicht recht bei Trost, wenn er dazu anhebt, einen Witz zu erzählen, und obendrein die Wiedergabe seines Witzes einleitet mit dem Hinweis, jetzt folge „einer seiner Lieblingswitze“.

Im Gedächtnis des Menschen, von dem hier die Rede ist, war im Laufe seines Lebens ein Archiv von höchstens sechs oder acht Witzen angelegt worden aus der Kategorie, die an einem Wirtshaustisch präsentiert wird, es könnten aber auch nur drei oder fünf gewesen sein. Oder ein einziger.

Als er nun anhub zu erzählen, beharrte er darauf, dass es sich um einen seiner Lieblingswitze handele, gefischt eben nicht aus einem unerschöpflichen Reservoir, sondern aus einem in seiner Kargheit erlauchten, streng ausgewählten Fundus, mit anderen Worten, aufgrund seiner chronischen Vergesslichkeit müsse er davon ausgehen, dass, wenn er sich schon den einen Witz gemerkt habe, dieser unverzüglich und automatisch als Lieblingswitz auszuzeichnen sei. Da er bloß die paar Witze abgespeichert habe, schließe er daraus, dass sie ihm gefallen hätten, obwohl ihm übrigens durchaus ihre fragwürdige Qualität bewusst sei:

Begegnen sich zwei ehemalige Schulkameraden, der eine fährt einen Polo, der andere säuft. Ein paar Jahre später begegnen sie sich wieder. Der eine fährt jetzt einen Golf, der andere säuft. Nach einigen Jahren begegnen sie sich erneut, der erste fährt jetzt einen Passat, der andere säuft immer noch. Als sie sich das nächste Mal begegnen, fährt der eine seinen Passat, der Säufer fährt einen Mercedes. „Wie hast du denn das hingekriegt?“, fragt der erste. „Ich hab die leeren Flaschen zurückgebracht.“

Amüsiert von der Begeisterung eines Vierzigjährigen für einen Witz aus der Grundschule der Komik, suchte ich später mühevoll und überflüssigerweise nach einer Bemerkung von Hal Roach, nach einer nicht sehr originellen Bemerkung, die der deutschen Redensart „In der Kürze liegt die Würze“ eng verwandt ist, aber nicht so nach Bratwurst auf dem Holzkohlengrill riecht, nicht nach Maggi schmeckt, sondern wohltuend konkret gemeint ist, und die auf jene Epoche in Hollywood gemünzt ist, als die Filmkomödien nie länger als zwei Akte dauerten: „Brevity is the soul of wit.“

Roach korrigierte die These in einem Interview mit The Film Daily, in dem die fortdauernden Experimente seines Studios mit der Filmlänge zur Sprache kamen. „Roach said he would not strictly limit his short subjects to two reels, as competitors did, when the story material happened to warrant extra footage.“ Also: Wenn die Geschichte es erfordert, darf man getrost die Prinzipien ignorieren.

Solche Auswirkungen haben Weisheiten manchmal. Aber hätte man den Lieblingswitz jenes Mannes kürzer, knapper erzählen können? Mir hatte er, zu meiner eigenen Überraschung, tatsächlich gefallen.