Pas de deux in die Krise

Der FC Bayern München ist nach wie vor Tabellenführer der Fußball-Bundesliga, doch selbst im Verein mag sich darüber niemand so recht freuen. Derweil erfreuen sich die Medien am Bayern-Bashing

von FRANK KETTERER

Die Sorge war gespielt und die Frage, in die sie vorsorglich verpackt war, mehr als gemein. „Knallt Kahn durch?“, schrie es gestern entsetzt von Seite 1 bei Bild, und weil selbst der Republik dünnste Zeitung tagtäglich mit irgendwelchem Blödsinn gefüllt werden muss, setzte sich das Bashing im Interieur des bunten Blattes fröhlich fort: „Er machte zwei schwere Fehler und sagte: Ist mir doch scheißegal. Er gibt wirre Interviews. Gestern erklärte er: Nach dem Spiel bin ich nur bedingt zurechnungsfähig.“ Das Fazit aus solcherlei Ungeheuerlichkeiten: „Kahn-Fans sorgen sich zunehmend.“ Mindestens ebenso groß wie die Sorge der Anhänger aber scheint die Freude der Bild-Macher zu sein, mit dem Weltklassekeeper endlich das tun zu können, was sie sich ob seiner Wundertaten im Kasten so lange nicht getraut hatten: abzurechnen. Jetzt aber scheint die Zeit gekommen, dem 33-Jährigen kräftig unter die Nase zu reiben, dass letztendlich er es war, der Deutschland den Weltmeistertitel verloren hatte im sonnigen Juni von Japan. „Leidet er etwa an einem WM-Trauma?“, fragte sich Bild gestern deswegen vorsorglich selbst. Die eigene Antwort: „Zwar war er der beste Spieler des Turniers. Aber er musste auch verkraften, dass er mit seinem Fehler gegen Rivaldo das Finale letztendlich mit vergeigt hat.“ Noch Fragen?

Die Jagd ist eröffnet, und zum lustigen Medien-Hallali geblasen wird freilich nicht nur auf Kahn, den ebenso weltbesten wie kotzbrockigsten Torhüter, sondern auf so ziemlich alles, was berufsmäßig das Bayern-Trikot trägt oder sonst irgendwie mit dem Verein zu tun hat. Dass Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld dabei im Epizentrum des Orkans steht und von den Medien längst schon zum Abschuss freigegeben ist, folgt nur den Gesetzmäßigkeiten der Branche. Zwar hat Hitzfeld den FC Ruhmreich noch vor eineinhalb Jahren zu einem seiner größten Erfolge, dem Gewinn der Champions League, geführt, nun aber, so heißt es, habe er sich doch in den Mühlen des Alltags aufgerieben, verbraucht irgendwo zwischen Mailand und Wolfsburg. Wie sonst hätte der FCB in diesem Jahr schon in der Vorrunde der Champions League scheitern können, und das auch noch sieglos, wo er, geblendet von den nicht selten erduselten Erfolgen der Vorjahre, doch längst mindestens das Erreichen des Viertelfinals als standesgemäß erachtet? Mindestens!

Das wird natürlich als „eine Blamage“ empfunden, als „Schande“, wie Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende der Bayern AG, sogleich in bester Kaiser-Manier firlefranzelte. Aber, ach Gott: Was ist denn so schändlich daran, ein Fußballspiel gegen La Coruña zu verlieren oder den AC Mailand, zwei internationale Top-Mannschaften, und das auch noch, zumindest teilweise, unter – gänzlich bayernuntypisch – unduseligen Umständen? Und schon gar nicht weiter hilft da der Verweis auf die 50 Millionen Euro, die der Verein, immerhin nach wie vor Bundesliga-Tabellenführer, vor der Saison in die Gebeine von Ballack, Deisler sowie Zé Roberto investiert hat. In der Bundesliga mag das einen Spitzenwert darstellen, verglichen mit der Investitionswut der internationalen Konkurrenz aber sind es doch nicht viel mehr als Peanuts. Ganz ähnliches gilt für jene, in die derart investiert wurde: Hierzulande mögen Ballack und Zé Roberto als Topstars ungeprüft durchgehen, in der Champions League aber stellen sie nach wie vor eher kleinere Leuchten da, hinter den Zidanes, Beckhams, Figos und Inzaghis. Ganz abgesehen davon braucht es Zeit, ein Spielsystem den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, den neuen Säulen also. Dass die Bayern zum Bundesligastart die Lederkugel phasenweise ganz gefällig und, zumindest in der Liga, auch durchaus erfolgreich übers Grün getreten haben, mag beim ein oder anderen für vorfreudige Verblendung gesorgt haben; bei manchem Vereinsoberen war dieser Zustand freilich gar schon vor Rundenbeginn eingetreten. Etwa bei Karl-Heinz Rummenigge, der vom „Weißen Ballett“ schwadroniert hatte, als das der FC Bayern künftig über die Fußballfelder Europas ziehen werde.

Damit hat er nicht nur die Erwartungshaltung an die Mannschaft in nahezu unerfüllbare Höhen gejagt, sondern gleichsam den fußballerischen Paradigmenwechsel postuliert, dem die selbsterklärten Fußballschöngeister aus der Führungsetage, zuvorderst Rummenigge selbst sowie der allgegenwärtige Kaiser Franz, ihren Verein so gerne unterwerfen würden: Der FC Bayern soll künftig nicht mehr nur erfolgreichen, sondern auch noch schönen Fußball spielen. Schwanensee statt Polka. Bisher ist die Mannschaft mit diesem Ansinnen lediglich in die Krise getanzt – und in die Schlagzeilen.