Wenn die Prüferin plötzlich prüft

EU-Rechnungshof berichtet dem Parlament: Es gebe Fortschritte, aber 15 Milliarden Euro wurden nicht abgerufen. Grüne Haushaltskommissarin Schreyer muss erklären, warum sie eigens berufene Chefbuchhalterin mit einem Hausverbot belegt

Das Buchungssystem ist „mittelalterlich“ – mag stimmen. Aber wer das sagt, fliegt

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Zunächst sah es gestern so aus, als könne sich die grüne Haushaltskommissarin Michaele Schreyer entspannt zurücklehnen. „Eine insgesamt positive Bilanz“ bescheinigte der neue Präsident des Europäischen Rechnungshofes, Juan Manuel Fabra Vallés, ihren Reformbemühungen. „Wir müssen anerkennen, dass die Kommission ihr Versprechen einlöst, hart an der Verbesserung ihrer Verwaltungs- und Kontrollmechanismen zu arbeiten“, versicherte der oberste Rechnungsprüfer den Mitgliedern des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament.

Dann aber wurde Fabra Vallés konkret – und die Miene der Haushaltskommissarin verdüsterte sich zusehends. 15 Milliarden Euro, das sind 16 Prozent des gesamten Budgets, wurden 2001 nicht ausgegeben. Nach Ansicht der Rechnungsprüfer hätte die Kommissarin voraussehen können, dass ein Drittel der für die Strukturförderung eingeplanten Mittel nicht abfließen würde, weil keine geeigneten Projekte beantragt wurden.

Kritik an dieser Form der Kritik kam prompt von der britischen Labour-Abgeordneten Mair Eluned Morgan. „Sie haben Ihr Augenmerk vor allem darauf gerichtet, ob das eingeplante Geld von der Kommission ausgegeben wurde – egal, wofür“, warf sie den aus Luxemburg angereisten Mitgliedern des Haushaltskontrollausschusses vor. „In meinem Wahlkreis stolpern Sie auf Schritt und Tritt über Heimatmuseen, alle mit Strukturmitteln der Europäischen Union gebaut – wenn noch eins von diesen Dingern geplant wird, bekomme ich einen Schreianfall!“, versprach die sozialistische Haushaltskontrolleurin in einer schwungvollen Rede.

Ihr konservativer Landsmann Christopher Heaton-Harris ergänzte, ähnlich temperamentvoll: „Wenn ich hier lese, dass mehr Olivenölbeihilfe in Griechenland und Spanien gezahlt wurde, als die dortigen Ölmühlen Öl produzieren; wenn ich höre, dass in Österreich 60 Prozent zu viel Stilllegungsprämie für Almflächen gezahlt wurde, dann ist das ziemlich starker Tobak!“

Der Brite sprach auch eine für Schreyer pikante Personalie an: den Fall ihrer erst gegen internen Widerstand eingestellten, dann fünf Monate später mit Hausverbot belegten Chefbuchhalterin Marta Andreasen. „Der Rechnungshofbericht stellt fest, dass die Mängel im Buchführungssystem, die 1994 erstmals angemahnt wurden, weiter bestehen. Eine Mitarbeiterin der Haushaltsabteilung der Kommission wurde neulich gefeuert, weil sie genau das auch gesagt hatte!“

Heide Rühle, als grünes Mitglied stellvertretend im Haushaltskontrollausschuss, hatte sich ebenso wie der sozialdemokratische Vertreter Helmut Kuhne gegen die Mehrheit im Ausschuss gestellt, die Frau Andreasen persönlich anhören wollte. Auf Drängen der Fraktionsvorsitzenden des linken Lagers hin war die kaltgestellte spanische Kommissionsbeamtin wieder ausgeladen worden.

Heide Rühle bestreitet, mit dieser Abwehrhaltung ihre grüne Parteifreundin Schreyer schützen zu wollen. Nach nur fünf Monaten Einarbeitungszeit habe Andreasen gar nicht beurteilen können, ob das Buchungssystem „mittelalterlich“ sei. Die Spanierin habe keinen Versuch unternommen, ihre Kritik innerhalb der Abteilung loszuwerden. „Wir sind nicht der erweiterte Betriebsrat der Kommission“, so Rühle. Unzufriedene Mitarbeiter kämen mit ihren Klagen oft zum Parlament gelaufen.

Auf Schreyers Personalpolitik allerdings, das räumt auch Rühle ein, wirft die Episode Andreasen ein bezeichnendes Licht. Die grüne Kommissarin hatte die neue Chefbuchhalterin gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Mitarbeiter eingestellt. Knapp fünf Monate später entzog sie ihr jede Unterstützung. Dabei kommt Andreasen zu dem gleichen Schluss, den auch die Lektüre des Rechnungshof-Berichtes für 2001 nahe legt: Dem Haushalt 2001 müsste eigentlich die Entlastung verweigert werden.

Der laufende, noch nicht überprüfte EU-Haushalt liegt bei 95,65 Milliarden Euro. Das Budget ist einer der wenigen Bereiche der EU, bei dem das Parlament das letzte Wort hat. Deutschland finanziert 2002 23,4 Prozent des Haushalts, erhält aber einen großen Teil als Beihilfen wieder zurück.