Ausflug in die neue Welt

War da was? Kohl vielleicht? Oder Geschäfte? Eher nicht: Meinen zwei Touristen, die aus dem Wilden Westen kamen, um den Osten zu erobern. Eine Taxigeschichte

Vor einem ägyptischen Touristenrestaurant in der Stresemannstraße wedelt ein alter Mann mit seinem Gehstock. Er schwankt und kann sich kaum auf den Beinen halten. Neben ihm seine Frau mit dunkler Brille und gelb leuchtendem Blindenabzeichen. Amerikaner, denke ich und bin sehr überrascht, als der Mann im Berliner Dialekt als Fahrziel die Reinickendorfer Straße im Wedding angibt.

„Also“, fängt sie gleich an, noch bevor ich losgefahren bin, „der Potsdamer Platz is ja nüscht.“ Eine große Enttäuschung ist ihr anzumerken. „Ich dachte, da gibt es ein paar schöne Geschäfte im Bahnhof, wo man ein bisschen bummeln kann, aber nüscht.“ Im Bahnhof?, denke ich, und frage laut: „Gefällt Ihnen nicht, der Potsdamer Platz?“ Daraufhin er, der neben mir sitzt, mit erstaunlich energischer Stimme: „Da kann dir ja jeder durchs Fenster kieken, so nah stehn die Häuser zusammen. Finden Sie das etwa schön?“ Diese Frage wieder: Finde ich den Potsdamer Platz schön? Nachts, wenn man vom 17. Juni her durch den Tiergarten auf das erleuchtete Sony Center zufährt und das Zeltdach sich über den Bäumen erhebt, das mag ich. Aber schön? „Ach, Sie sind ja jung. Sie sehen das anders. Wissen Sie, mir gefällt das alles nicht.“ Was gefällt ihm nicht?

Er zeigt nach draußen. „Na hier. Die Glaskugel auf dem Reichstag, und dort, das Büro von Schröder. So ein großes Ding. Und der ist bei der SPD.“ Aber es waren doch die Pläne von Kohl. „Kohl?“ Mühsam erinnert er sich. „Ja, das war ja Kohl.“ Er nickt stumm in sich hinein. „Und alles so teuer!“, ruft sie von hinten. „Ja, teuer“, brummt er. „Hier sind wir früher immer spazieren gegangen, an der Moltkebrücke. Und die Spree hammse auch verlegt.“ Er winkt ab. „Da war die Mauer. Das Sozialgericht war ja noch im Westen. Die Straße hammse auch nur gebaut wegen der Mauer. Ich sag ja nich, dass alles schlecht ist, was neu ist. Aber wissense“, und jetzt wird seine Stimme noch etwas kräftiger, „wir sind ausm Wedding.“ Es klingt wie ein Glaubensbekenntnis, das alles erklärt. Soeben haben wir den Weddingplatz erreicht. Ich schaue mich um. Naja, kein Platz eigentlich. Eher eine große Kreuzung mit dem Haupteingang von Schering auf der einen und einem Autoteilehändler auf der anderen Seite. „Hier ist alles wie immer.“ Der Mann atmet tief durch.

„Wenn es Ihnen hier so gut gefällt, was wollten Sie denn am Postdamer Platz?“, frage ich auf den letzten Metern. „Wir wollten endlich mal schaun. Ham wa ja oft im Fernsehn von gehört. Aber da is ja nüscht. Keine Geschäfte. Zu essen kriegt man och nüscht. Dann warn wir beim Ägypter. Der zählte uns auf, was er alles zu essen hat. Kannten wir alles nich. Da ham wir nur ne Selter getrunken.“ Ich bin erstaunt. „Aber in den Arkaden, da gibt’s doch viele Geschäfte und viele Essstände!“ Er winkt wieder ab. „Ach, ham wa nich jefunden. Wir sind runter in Bahnhof und da war nüscht. Keine Geschäfte.“ Er ist nicht traurig darüber. Im Gegenteil, er freut sich, dass die neue Welt so ungastlich ist. „Jetzt sind wir ja wieder zu Hause und machen uns ne schöne Stulle.“ STEFAN STREHLER