Pointen vom Allerfeinsten

Seltsame Nachrichten aus der sächsischen Provinz: Die Dresdner ,,Lachkarte“ wird 30

Hiebe nach allen Seiten, aber niemals unter die sprichwörtliche Gürtellinie

Die Sachsen können endlich wieder lachen. Gut gesetzt haben denn auch die Dresdner „Lachkärtler“ ihre Pointen zum 30. Jubiläum im Grimmaer Theater vor bedeutungsschwangerer Kulisse. Die Idee des imaginären Rundfluges über unsere ach so schöne bunte Republik Deutschland trägt. Spaß und Humor bleiben da nicht aus; dafür sorgen schon einige Beiträge und Kontraste aus der volkstümlichen Medienszene.

Herausgekommen ist letzten Endes ein begnadetes Polit-Comedy-Kabarettprogramm der neuen Generation, das seinen Zuschauern kübelweise Lachtränen entlockt, aber auch berühren kann. Also: Achtung, anschnallen und „Durchstarten“ mit diesem gleichnamigen Programm des Dresdner Kabaretts „Lachkarte“ anlässlich ihres dreißigjährigen Bestehens …

„Wenn Sie einen großen schwarzen Fleck am Boden sehen ... na, was ist das wohl? Natürlich Sachsen.“ Die Eintrittskarten enthalten statt Mehrwertsteuer eine Fluthilfesteuer. Hoho, böse, böse. Die Zwischen-den-Zeilen-Hörer kamen aber kaum auf ihre Kosten – denn die „Lachkarte“ hinterfragte Klartext zum Zusammenwachsen unserer beiden Deutschländer, das – wen wundert’s? – gewogen und zu leicht befunden wurde: „Erst kamen die Sandsäcke – dann die Drecksäcke.“ Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Aber darf man acht Wochen danach über die Flut und ihre Opfer Witze machen? Sandsacksachsen dürfen das. Denn „hintergründiger“ Humor ist die beste Medizin. Wenn man sich vorher krank gelacht hat. O, o!

Kranklachen vor und nach der Wahl, die geheim und „kostenlos“ in unserer so genannten Marktwirtschaft ist, manche sagen sogar „umsonst“. Pfui, ein politisch Lied, ein garstig Lied. Demokratie ist, wenn man trotzdem wählt. „Wir bedanken uns (deshalb) auch bei den Nichtwählern“, die letztendlich zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Da wird den ach so kritischen Zeitgenossen ein unbequemer Spiegel vorgehalten. Und was halten Sie von Wahlen ohne „Haftschalen“, gewissermaßen im Blindflug? „Schön, dass wir heute solch eine Auswahl an Parteien haben.“ Situationskomik im Kontext von real existenter Wirklichkeit.

Galgenhumor beim Lied „Drei weiße Tauben“, Selbstmutmache in „Das werden wir überleben, wie’s kommt, das weiß man nie“. Und waren es früher die Bekannten mit Westbeziehung, die man zu einem Fest einlud, muss es jetzt schlussendlich der stinklangweilige „Oberabteilungsleiter“ sein. Neue Wertmaßstäbe: „Moos hamm mer, groß sann mer, reich sann mer“, Kinder sind nur Armutsrisiko. Dazu eine forsche Politesse im Beamtenanwärterstand, die einen Abgeordneten abstrafen will. Das wirkt harmlos, ist aber eigentlich der totale Horror. Eben „der alltägliche, ganz normale Wahnsinn“. Selten sieht man Kabarettisten so gekonnt schlagfertig im spontanen Frontalkontakt mit dem vergnüglichen Publikum wider den Stachel löcken.

Hiebe nach allen Seiten, aber niemals unter die sprichwörtliche Gürtellinie. Fragen über Fragen. Gibt es noch Vorbilder in der politischen „Klasse“ oder nur noch eine vorbildliche politische „Kasse“? Wozu brauchen wir Umwelt, wenn wir Fortschritt haben? Gibt es auch künftig noch Zukunft oder nur noch Jahre? Mit diesen Fragen gehört letztschließlich unsere ganze westliche Zivilisation auf den Prüfstand gestellt. Die Vollblutkabarettisten erheben zwar nicht den Anspruch, für alle Fragen eine Lösung zu haben, aber Denkanstöße wollen sie schon liefern. Und außerdem: trotz – oder gerade wegen –der kritischen Sichtweise der „Lachkarte“ sollen Spaß, Unterhaltung und Freude am Kabarettabend dominieren! Auf die nächsten 30! MICHAEL RUDOLF