Das erste Ziel ist schon verfehlt

40 Krankenkassen verlangen am heutigen Donnerstag höhere Beiträge als am gestrigen Mittwoch – eine Folge des Sparpakets, das die Sätze eigentlich stabil halten sollte. Heute berät der Bundestag im Schnelldurchlauf über das eilige Gesetz

von JEANNETTE GODDAR

Eiliger konnte man das Gesundheits-Sparpaket nicht auf den Weg bringen. Eilig war aber nicht eilig genug. Wenn Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) heute im Bundestag für das umstrittene Verbot von Beitragserhöhungen bei den Krankenkassen wirbt, kommt sie in vielen Fällen zu spät. 35 Betriebskrankenkassen (BKK) reichten bis gestern Nachmittag Anträge auf Erhöhungen ein, außerdem zwei Innungskrankenkassen und die AOK Niedersachsen. Letztere plant den saftigsten Aufschlag: von 13,8 auf 14,5 Prozent. Die BKKs wollen nach Angaben ihres Vorsitzenden Wolfgang Schmeinck die Versicherung im Schnitt um 0,2 bis 0,4 Prozent teurer machen. Allein die AOK Niedersachsen versichert knapp drei Millionen Menschen.

Die Chancen, die Erhöhungen durchzusetzen, bevor das Verbot vergangene Nacht in Kraft trat, standen gut. „Begründete Anträge werden auch genehmigt“, sagte der taz Gregor Pier, Sprecher des Bundesversicherungsamtes (BVA), dem 26 Anträge vorlagen. Das BVA ist Aufsichtsbehörde für alle Kassen, die in mindestens drei Ländern tätig sind. Bei allen anderen entscheiden Landesbehörden. Wenn aber 40 von 370 Krankenkassen heute höhere Beitragssätze haben als gestern, hat Ulla Schmidt das oberste Ziel ihrer Sparpolitik schon verfehlt. Das lautete nämlich, die Sätze stabil zu halten.

Auch Kassen, die bis gestern nichts unternahmen, schließen Erhöhungen nicht aus. „Wir gehen davon aus, dass Ausnahmen immer möglich sind“, sagte Udo Barske, Sprecher des AOK-Bundesverbands, der taz. Laut Gesetzentwurf sind Kassen ausgenommen, wenn sie in ihrer Leistungsfähigkeit bedroht sind oder Kredite aufnehmen müssten, was sie nur zur Überbrückung kurzfristiger Krisen dürfen. Bereits jetzt, schätzen Experten, fehlten den Kassen nicht etwa die offiziell angegebenen 1,5 Milliarden Euro, sondern mindestens 3 Milliarden. Etwa die Hälfte der Kassen finanziert sich nach Informationen des Handelsblatts schon jetzt mit Hilfe von Krediten. Sie alle werden auch in Zukunft Erhöhungen durchsetzen können.

Das Eil-Sparpaket zur Gesundheit, das heute in den Bundestag eingebracht wird, soll 3 bis 3,5 Milliarden Euro erbringen. Das Gesetz benötigt nur in Teilen die Zustimmung des Bundesrats. Lehnt der ab – etwa die Nullrunde bei den Verwaltungskosten für Krankenkassen –, hofft Schmidt auf Einsparungen von immerhin 2,85 Millarden Euro. Auch damit aber würde bestenfalls ein wenig Zeit gewonnen, um auf die hoffentlich umfangreichen Vorschläge der Kommission nach Hartz-Vorbild zu warten, die Ende des Jahres ihre Arbeit aufnehmen soll. Diese Kommission soll inzwischen nicht nur das Gesundheitswesen reformieren, sondern die gesamte Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Das Gesundheitsministerium bestätigte gestern, dass „geplant“ sei, den Rentenexperten Bert Rürup um den Vorsitz zu bitten. Stimmt der zu, dürfte er denVorgänger Peter Hartz um seine Arbeit schnell beneiden.