Rotierende Arbeitslose

Bonbon für Arbeitgeber: Wenn Leiharbeitsfirmen eigene Tarifverträge abschließen, müssen sie keine Branchentariflöhne zahlen

von HEIDE OESTREICH

Im Windschatten aller möglichen Not- und Eilgesetze segelte Arbeitsminister Wolfgang Clement gestern mit seinem Hartz-Gesetz durchs Kabinett, heute schon soll es der Bundestag in erster Lesung zur Kenntnis nehmen. Die Gewerkschaften holten noch tief Luft, um ihre Stellungnahmen für die nächsten Dienstag stattfindende Anhörung zu formulieren, da wusste Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt bereits, dass diese lächerlichen Vorgaben zur Leiharbeit kaum einen Arbeitsplatz bringen würden: Verteuert würden die Zeitarbeitsplätze in Deutschland durch den Zwang zum Tarifvertrag, zehntausende von ihnen seien damit dem Untergang geweiht.

Der Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) sekundierte: 75.000 Stellen seien in Gefahr. „Die lesen nur ‚Tarifvertrag‘, dann geht die Klappe runter“, so ein SPD-Abgeordneter. Haben die Gewerkschaften sich tatsächlich „im Hintergrund voll durchgesetzt“, wie Friedrich Merz, Fraktionsvize der CDU/CSU im Bundestag, mutmaßt?

Was tatsächlich das Gesetz über „moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vorsieht, ist die Tarifbindung der Zeitarbeit. Im Moment hat kaum ein Zeitarbeitsunternehmen Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen. Die etwa 300.000 LeiharbeiterInnen bundesweit werden bis zu 30 Prozent unter Tarif bezahlt. Damit Unternehmen Langzeitarbeitslose oder gering Qualifizierte einstellen, brauchen sie diese attraktiven Bedingungen, meinen die Arbeitgeber. Sogar der Chef aller Arbeitsämter, Florian Gerster, tat kund, dass „unsere Arbeitslosen“ einfach nicht so gut seien wie „qualifizierte Fachkräfte“ und deshalb unter deren Tarif bezahlt werden müssten.

Was die Schreihälse übersehen, ist, dass die Gewerkschaften genauso wie die Arbeitgeber eine Kröte zu schlucken haben. Denn Clements Gesetz ist durchaus trickreich. Den Gewerkschaften kommt es entgegen, indem es branchenübliche Löhne verlangt. Den Unternehmern allerdings kommt es entgegen, indem es ihnen mehrere Schlupflöcher lässt, die sie anscheinend noch gar nicht realisiert haben.

Das allergrößte: Wenn Leiharbeitsfirmen eigene Tarifverträge abschließen, brauchen sie keine Branchentariflöhne zu zahlen. Das ist genau das, was die Gewerkschaften eigentlich verhindern wollten. Denn, so gibt der Vorsitzende des Arbeitsausschusses im Bundestag, Rainer Wend (SPD), zu, „die Kräfteverhältnisse in dieser Branche sind nicht günstig für die Gewerkschaften“. Schließlich hat man von einem streikenden Zeitarbeiter bisher eher selten gehört.

Es ist fraglich, ob die Gewerkschaften, derart geschwächt, die derzeitigen gesetzlichen Regelungen, die allesamt entfallen sollen, wieder in einem Tarifvertrag unterbringen werden. So wird in Zukunft etwa das Synchronisationsverbot aufgehoben. Danach ist es der Verleihfirma verboten, einen Arbeitnehmer nur so lange zu beschäftigen, wie sein Arbeitseinsatz dauert. Er muss unbefristet bei der Leiharbeitsfirma beschäftigt werden.

Fraglich auch, ob die Gewerkschaften solche Regelungen wieder herausverhandeln werden. Wenn sie die Verhandlungen aber platzen lassen, gilt zwar für die Verleihzeit der branchenübliche Tarif. Aber es bleiben noch genug andere Schlupflöcher.

Während der ersten sechs Wochen darf ein Ersatz fürs Arbeitslosengeld gezahlt werden, sehr billig. Für Schwervermittelbare können extra Tarifabschläge ausgehandelt werden. Und das letzte Bonbon: Den Lohn zahlen muss die Leiharbeitsfirma, nicht der Betrieb. Letzterer könnte also seinen Wunschlohn der Zeitarbeitsfirma mitteilen, die wiederum sich ans Arbeitsamt wendet und Zuschüsse verlangt. Die sind zwar laut Gesetzentwurf verboten, aber dafür sind „Zuwendungen für übernommene Arbeitnehmer“ erlaubt, so Wend. Die Zeitarbeitsfirma kann zudem, falls kein Tarifvertrag zustande kam, in der entleihfreien Zeit, in der der Arbeitslose trotzdem bei ihr angestellt ist, zahlen, was sie will, so Wend. Das könnte bedeuten, dass man zwar einen Branchentarif verdient, wenn man arbeitet, aber einen Hungerlohn, der weit unter dem bisherigen Arbeitslosengeld liegt, wenn man nicht arbeitet. Die Frage, ob Gewerkschaften oder Arbeitgeber gewonnen haben, ist also mit Vorsicht zu beantworten.