Direkt in‘s Hirn geschrummelt?

Funny kam und alle wollten dabei sein: Paare, chinesische Dissidenten und evangelische Mädchen. Das behauptet zumindest einer von drei taz-Autoren, die sich in der Einlass-Schlange drängten. Die Urteile: Von „Nicht sein Tag“ bis „Großes Tennis“

Vorverkauf? Nöö, gibt‘s nicht. Ist doch voll unspontan. Aber eine Stunde auf der Lagerhaustreppe stehen, das ist voll spontan, ey. Frieren, drängeln und gedrängelt werden, um den Einlass bangen. Als das Konzert anfängt, ist die Stimmung auf dem Nullpunkt und die Leute stehen noch bis zum O-Weg. Normalerweise ist sowas das Rezept für eine Saalschlacht. Doch dann kommt ER, und noch bevor die ersten beiden Zeilen verklungen sind, ist alles wieder gut. Er fühlt sich auch fehl am Platz, es ist nicht sein Tag. KönnenKünstler und Publikum mehr im Einklang sein? Der zarte Schmelz seiner Poesie macht warm ums Herz, ein bisschen Schummer-Schlager-Stimmung kommt auch auf. Und doch: Auch Funny kommt irgendwie nicht mit dem Kapitalismus klar, obwohl er gerne würde. Besser kann man es Geist und Seele kaum gehen lassen. Jan Kahlcke

Funny van Wiebitte? Muss nicht jeder kennen, oder? Und dann schrummelt er sich trotzdem mirnixdirnix ins Hirn rein: Funny, Belcanto-Stimmchen und Gitarre wie Hannes Wader, aber Grübchen, Kulleräuglein – und Songs mit 1.000 Falltreppen. Funny schlagert und haut sanftig auf die Gutmenschen – das tut gut. Funny, der „Groooveman (mit drei O)“, Funny, der sich „Fleischfresser-Antilopen“ wünscht, die „erbarmungslos angreifen“, damit die Löwen auch mal ihr Fett abkriegen. Der Underdog, der zugibt, dass „in der Pubertät jeden Tag ein Auswärtsspiel“ ist, dass er „menschenverachtende Untergrundmusik“ hört, dass er wegen Schilddrüsenunterfunktion „immer ins Tor“ musste und immer noch „zu früh kommt“. Das ist großes Konzert-Tennis. Liedermacher war oldschool, ein Schimpfwort. Jetzt ist Funny.

Kai Schöneberg

Wenn jemand zum Melody Maker kommt, dann der ganze Fanclub der Sehnsucht: Hausmänner, ein paar Paare, evangelische Mädchen, lesbische schwarze Behinderte, Vladimir Putins Cousine, depressive Hypochonder, chinesische Dissidenten, unbekannte Pferde und andere. Im Nu sind 100.000 Karten weg. Im Regen draußen stehen die Bauarbeiter – schade, scheiße – und denken: Wozu noch beten? Sie sind Fatalisten, sie sind nicht mehr jung. Drinnen, im Hochhaus, tritt der Tombolamusikant auf. Er tut etwas Gutes und singt traurige Lieder. Manche mögen das Mädchenmusik nennen, aber wenn man menschenverachtende Untergrundmusik hören will, muss man wohl nach Uruguay fahren. Dieser Groooveman ist mehr wert als Geld. Er ist ein Engel, ein Holy Man. Funny ist ein Grund, vom Leben nicht enttäuscht zu sein. Tim Ingold