Gelegentlich ein Demonstrant

Auf der Suche nach dem wahren Kreuzberg: Das Kurzfilmfestival Filmsquat 02 zeigt neue Stummfilme, „wirklich schlechtes fernsehen“ und Widmungen an Fassbinder

Wie Menschen von Skins und dem Kulturbetrieb ins Klischee gezwungen werden

Wofür, eigentlich, steht Kreuzberg, seit die große Politphase mit Straßenkämpfen und Häuserbesetzungen vorbei ist? „Irgendwie ist immer schon klar, was sich damit verbinden lässt: die mittlerweile x-te Generation türkischer Migration, die linke Dissidenz von Autonomen in den 80er- und 90er-Jahren oder nur etwas, das Nicht-Berlin-Mitte ist, aber so richtig stimmt nichts davon“, heißt es im Pressetext zum zweiten Kurzfilmfestival „Filmsquat 02“. Diffus und nicht zu verifizieren, ist Kreuzberg in jedem Fall ein äußerst besetzter Begriff, ein Klischee und eine Gewohnheit. Genau diesen Umstand nehmen die VeranstalterInnen zum Ausgangspunkt für ihr diesjähriges Programm.

Zum zweiten Mal haben Sue Beermann (Eiszeit-Kino) und Stephan Geene (b_books) Filme „über und von Kreuzberg weg“ zu einem zweitägigen Festival zusammengestellt. „Gute Filme lassen sich nicht auf einen Ort reduzieren, wohl aber daran messen, auf welchen Horizont sie hinerzählen“, erklärt Stephan Geene auf die Frage nach seinen Kriterien. Entsprechend ist keiner der gezeigten Kurzfilme auf die Lokal-Situation zu reduzieren und doch jeder stets mit ihr verbandelt.

Das Festival spannt einen Bogen von Filmen, die in dem legendären Kreuzberger Jugend- und Kulturzentrum „Naunynritze“ entstanden sind und im weitesten Sinne deutsch-türkische Verhältnisse thematisieren, über Volker Sattlers andere „Berlinsymphonie“ mit dem Titel „Unternehmen Paradies“ bis hin zu kleinen Kostbarkeiten wie den Animationsfilmen von Stephanie Jordan oder den Stummfilmen von Anna Faroqui.

„Das Unternehmen Paradies“ fängt Bilder und Stimmungen aus der Hauptstadt ein, die systematisch von einem „Daneben“, „Noch nicht“, „Gleich“ oder „Vorbei“ bestimmt sind. Bei den Vorbereitungen zum Staatsbesuch mit Clinton etwa werden der wartende Kanzler, die wartenden Scharfschützen auf den umliegenden Dächern oder die wartenden Kongressteilnehmer geduldig gefilmt. Denn es dauert, bis erste Hände geschüttelt werden können. Dann wird Szene-Nachtleben mit Demonstrationsbildern verschnitten. Diese Bilder und Atmosphären kennt man fast alle, aber hat sie so, in diesem Licht, diesen Farben und diesem fast elegischen Rhythmus, noch nicht gesehen.

In „Late at Night“ nimmt Stephanie Jordan nicht das offizielle, sondern ein privat-vereinsamtes Berlin in den Blick. Mit grellen Farben und leisem Humor bebildert und konterkariert sie detailverspielt den gleichnamigen Song von Sandra Wilson. Faroqui ihrerseits fängt mit der „Geschichte von Belinda und Zoe“, „Ein Mann für Marie“ und „Mehrwert der Liebe“ Szenen aus dem heutigen Alternativ-Leben im Stummfilmformat ein. Die eigenwillige Mixtur verschiedener Ästhetiken und die damit verbundenen Zeitsprünge verleihen diesen Kurzfilmen einen besonderen Charme.

Ganz unverschnörkelt, aber nicht weniger kunstvoll zeigt Shabaz Noshirs Film „Angst isst Seele auf“ die alltägliche Gewalt gegen Nichtweiße. Wiederum mit Brigitte Mira in der Hauptrolle ist dieser Fassbinders „Angst essen Seele auf“ gewidmete Film eine bittere Bilanz, wie Menschen von Skins und dem Kulturbetrieb auf je eigene Weise ins Klischee gezwungen und auf ihre Hautfarbe reduziert werden. Gewalt durch gnadenlose Instrumentalisierung hat auch der Film “BEI MIR ZU DIR“ von Judith Hopf und Stephan Geene zum Thema. Hopf glänzt als gestresste Talkmasterin, die verheult und schlecht vorbereitet – Brille vergessen – ein Interview mit einem Toten führen muss. Der Film läuft unter der Rubrik „wirklich schlechtes fernsehen“ und lässt keine mediale Untiefe aus.

Aber das Filmfestival stellt nicht nur aktuelle Produktionen vor, sondern auch frühere Arbeiten von Berliner Filmemachern und zeigt damit Genealogien auf. So kann man sich Christian Petzolds Abschlussfilm „Das warme Geld“ ansehen und sich ins graue, verfrorene Berlin der frühen 90er-Jahre mitnehmen lassen und mit Gert Konradts „Farbtest rote Fahne“ von 1968 vergleichen, der ebenfalls in der Rubrik „Anti-Stadt“ läuft.

„Filmsquat 02 versucht nichts zu klären, sondern nur in diesem Raum sehr unterschiedliche Filmtypen + Szenen zu aktivieren: Eine Behauptung, dass Film besetzt werden kann“, sagen die VeranstalterInnen. Na also, wenn schon nicht Kreuzberg, dann wenigstens den Film besetzen.

INES KAPPERT

Filmsquat 02, 8.–9.11. 2002 im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg Tel.: (030) 6 11 60 16; Infos unter www.bbooksz.de