Sonderprogramm für chronisch Kranke

Mediziner befürchten, dass die Krankenkassen störend in das Vertrauensverhältnis zum Patienten eingreifen werden

„Zwanzig Prozent der Versicherten“, rechnet Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor, „sind chronisch krank und verursachen achtzig Prozent der Kosten.“ Geld sparen und zudem die Behandlungsqualität verbessern sollen nun so genannte Disease-Management-Programme (DMP), die detaillierte Leitlinien vorgeben für Therapien, Medikation und gesundheitsrelevantes Verhalten von Menschen mit Krankheiten wie Diabetes oder Brustkrebs.

Die Leitlinien sollen dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Der ist allerdings umstritten: Die Deutsche Krebsgesellschaft etwa befürchtet, DMP könnten heraufbeschwören, was das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eigentlich beseitigen will: „eine Unterversorgung von Brustkrebspatientinnen in Deutschland“.

Welches Szenario noch am ehesten zutreffen wird, lässt sich erst überprüfen, wenn die DMP tatsächlich laufen. Die Rahmenbedingungen hat das BMG per Rechtsverordnung festgelegt, die seit Juli gilt. Doch noch ist kein DMP gestartet, weil sich MedizinerInnen und Krankenkassen bisher nicht auf entsprechende Verträge einigen konnten. Grund für den Dauerzwist ist nach Darstellung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dass sich die Krankenkassen vorbehalten wollen, PatientInnendaten auch zu Eingriffen in die Behandlung zu nutzen.

Die Glaubwürdigkeit der KBV hat zwar ziemlich gelitten, als sie kurz vor der Bundestagswahl lauthals Stimmung gegen die Fortsetzung von Rot-Grün machte. Die DMP-Bedenken der Ärztefunktionäre sind aber nicht gegenstandslos. Denn die BMG-Verordnung ermöglicht tatsächlich, was bisher tabu war: Im Rahmen von DMP, an denen Diabetes- oder Brustkrebskranke freiwillig teilnehmen, werden die Kassen erstmals medizinische Daten von Versicherten personenbezogen einsehen können. Befunde, Laborwerte, Behandlungsplanung, Medikation, Angaben dazu, wer raucht, übergewichtig ist oder Patientenschulungen geschwänzt hat – all dies und noch mehr dürfen die Kassen erfahren. Wer in die Übermittlung seiner Daten nicht einwilligt, soll aus dem Programm rausfliegen.

Die spannende Frage ist nun, ob die gesetzlichen Krankenkassen mit Hilfe der detaillierten DMP-Daten auch gezielt Risikoselektion betreiben werden und ob sie sich tatsächlich in das Arzt-Patienten-Verhältnis einmischen werden.

Wie das aussehen kann, hat KBV-Vizechef Leonhard Hansen, selbst praktischer Arzt, an Hand eigener Erlebnisse erläutert, die er – rechtlich gesehen – gar nicht hätte haben dürfen: „Manche Diabetiker“, berichtete Hansen im Frühjahr auf einem Symposium der KBV, „kommen ganz verstört in meine Praxis, weil die Krankenkasse bei ihnen zu Hause angerufen und nach ihren Zuckerwerten gefragt hat und dann den Therapieplan ändern wollte.“

Derartige Einmischungen schließt die DMP-Verordnung des BMG nicht aus. Ob Kassen und ÄrztInnen es schaffen werden, sie in den DMP-Verträgen wenigstens auf dem Papier ausdrücklich auszuschließen, bleibt abzuwarten.

KLAUS-PETER GÖRLITZER