Die Zentralbanker bleiben stur

Europäische Zentralbank lässt die Zinsen bei 3,25 Prozent. Furcht vor Inflation und steigenden Ölpreisen, Konjunktur nicht so wichtig. Kritik von Wirtschaftsforschern. Die US-Notenbank senkt die Zinsen dagegen auf das niedrigste Niveau seit 41 Jahren

von HANNES KOCH

Die rot-grüne Bundesregierung hätte eine gute Nachricht durchaus gebrauchen können. Doch die Europäische Zentralbank wollte dem Drängen aus Politik und Wirtschaftsforschung nicht nachgeben. EZB-Präsident Wim Duisenberg erklärte gestern in Frankfurt am Main, dass die Zinsen nicht gesenkt werden. Sie bleiben bei 3,25 Prozent.

Würden die Zinsen der Zentralbank fallen, könnten sich die Geschäftsbanken dort zu geringeren Kosten mit Geld versorgen. Kredite an Firmen und Privathaushalte werden billiger, Investitionen nehmen zu, die Wirtschaft gewinnt an Schwung. Auf diese Entwicklung hofften die rot-grünen Finanz- und Wirtschaftspolitiker. Sie stehen vor gigantischen Löchern in den öffentlichen Haushalten, die wegen des geringen Wachstums weiter aufreißen. Auch durch das hohe Zinsniveau gerät die gesamte Wachstums- und Finanzplanung für 2003 in Gefahr.

Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wollten die Entscheidung der EZB gestern nicht kommentieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisierte dagegen den unterbliebenen Zinsschritt. Die schwache Konjunktur mache es erforderlich, die Zentralbankzinsen zu reduzieren, erklärte DIW-Ökonom Andreas Cors.

Für die Zentralbanker spielte vor allem die Gefahr der zunehmenden Inflation eine Rolle. Im europäischen Durchschnitt lag sie im September zwar nur bei 2,1 Prozent, doch die Überschreitung des zulässigen Haushaltsdefizits in Portugal, Deutschland und Frankreich stimmt die Währungshüter nicht gerade optimistisch darin, dass den Regierungen die Geldwertstabilität am Herzen liegt. Außerdem befürchtet die EZB steigende Ölpreise infolge des möglichen Irakkrieges. Die Stabilität des Euros zu gewährleisten ist das oberste Ziel der Zentralbank.

Die EZB war unter Druck geraten, die Zinsen kurzfristig zu senken, weil die US-Notenbank Fed sich einen Tag zuvor zu diesem Schritt entschlossen hatte. Fed-Präsident Alan Greenspan reduzierte die US-Leitzinsen am Mittwoch Abend um 0,5 auf 1,25 Prozent. Dies ist der niedrigste Stand seit 41 Jahren. Die Fed hat die Kosten des Geldes seit Anfang 2001 nun insgesamt zwölfmal gesenkt. Am Ende des Booms der New Economy lag der Zinssatz noch bei 6,5 Prozent.

Die neuerliche Zinssenkung in den USA begründete die Notenbank mit der nach wie vor unbefriedigenden Wirtschaftslage. Umfragen zufolge geht das Vertrauen der Konsumenten in die ökonomische Zukunft zurück. Im Zuge des Börsencrashs der vergangenen zwei Jahre und der 11.-September-Depression waren es die privaten Verbraucher, die mit ungebremster Kauffreude die US-Wirtschaft einigermaßen am Leben gehalten hatten. Außerdem steigt gegenwärtig die Arbeitslosenquote, zuletzt auf 5,7 Prozent. Das Wirtschaftswachstum schwankt stark und liegt 2002 zwischen 2 und 3 Prozent. Als bedrohlich betrachtet die US-Notenbank auch die Gefahr eines Irakkrieges, der die Öleinfuhren verteuern und damit die Wirtschaft bremsen würde.

Nach der Entscheidung der EZB sackte der Wert des Euro unter 1 Dollar. Dann zog die europäische Währung wieder auf über 1 Dollar an. Der Deutsche Aktienindex (DAX) gab kräftig nach: Bis gestern Nachmittag fiel er um 3,02 Prozent. Zwischen schwächelnder Konjunktur, steigendem Haushaltsdefizit, Sparen und Streichen wird sich die rot-grüne Regierung also erst einmal weiter hindurchwursteln. Bis nächste Woche die – vermutlich – desaströse Steuerschätzung kommt. Dann stehen alle bisherigen Zahlen wieder in Frage.

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