In der Zwickmühle

„Chorolympiade“ aus Bremer Sicht: „Wunderbare Geschäftsidee“, „Augenwischerei“

Ansgar Müller-Nanninga ist Landeskirchenmusikdirektor und Leiter des Knabenchores Unser Lieben Frauen. Manfred Cordes ist Musik-Professor an der Hochschule für Künste und leitet das Ensemble Weser-Renaissance.

taz: Sie beide sehr viel mit Chören. Was haben Sie gegen die „Chorolympiade“?

Müller-Nanninga: Das ist eine wunderbare Geschäftsidee. Der Begriff suggeriert allerdings, dass aus allen Staaten der Erde die besten Chöre kommen. In Wahrheit kommen aber schlicht die finanzstärksten – die sich die Reise leisten können.

Manfred Cordes: Hier nutzt ein selbst ernanntes „olympisches Komitee“ den Begriff – es ist nicht drin, was drauf steht.

Müller-Nanninga: Wir laufen ja nicht Sturm, weil Menschen zum Singen zusammenkommen. Hier geht es um ein kommerzielles Unternehmen, für das öffentliches Geld in einem Maße ausgegeben wird, das die Kulturförderung in dieser Stadt gerne hätte. Offenbar haben wir den Fehler gemacht, dass wir uns immer nur an den Kultursenator gewandt haben – wir wissen jetzt, dass für solche Veranstaltungen der Wirtschaftssenator verantwortlich ist.

Cordes: Und das ist grotesk.

Andererseits sind die 2,56 Millionen Euro für die Chorolympiade ja Wirtschaftsförderungsmittel, die Sie sowieso nicht gekriegt hätten.

Müller-Nanninga: In Zukunft müssen wir also versuchen, größere Veranstaltungen auch über Wirtschaft fördern zu lassen.

Aber es kann auch nicht Ihre Perspektive sein, immer mit gefüllten Hotelbetten argumentieren zu müssen.

Cordes: Das ist in der Tat eine entsetzliche Entwicklung. Wenn es nicht gelingt, die Gelder, die aus dem Wirtschaftsressort kommen, durch einen „kulturellen Filter“ zu verteilen, ist das sehr schädlich für die Stadt.

Interkultur hatte angekündigt, die Bremer Chorszene „feinfühlig für die Sache zu begeistern“. Das scheint bei Ihnen nicht angekommen zu sein.

Müller-Nanninga: Wir sind eher erschlagen davon, welche Möglichkeiten es gibt, Werbung zu betreiben. Es gibt einen wunderbaren, gut gemachten Flyer. Diese Möglichkeiten hätten wir natürlich auch gerne.

Wie verhalten Sie sich konkret zur „Olympiade“?

Müller-Nanninga: Wir machen gute Miene zum bösen Spiel. Wir werden die Kirchen natürlich nicht schließen. Aber es ist eine merkwürdige Situation: Wir bemühen uns oft vergeblich um Geld und sollen jetzt in eine Sache einbezogen werden, der man relativ kritisch gegenüber steht. Außerdem macht es der Termin in den Sommerferien sehr schwer, uns einzubringen. Der wurde ja auch nach rein touristischen Kriterien bestimmt.

Das klingt nach einer Zwickmühle: zwischen Alibifunktion und dem möglichen Vorwurf, Sie würden sich verweigern.

Müller-Nanninga: Genauso ist es. Dabei organisieren ja auch wir große Treffen, wie gerade das Fest des niedersächsischen Kirchenchorverbandes mit 2.200 Gästen – ohne finanzielle Förderung. Also: Wir meckern nicht nur, wir tun auch was. Aber in diesem großen Stil Augenwischerei zu betreiben wie die Chorolympiade, das haben wir bisher noch nicht gebracht.

Cordes: Die vielen Ehrenamtlichen werden jetzt gestraft: Denen wird ein Highlight vorgesetzt, für das auf einmal ganz viel Geld da ist. So etwas hinterlässt Narben. Interview: HB