Ganz der Willy

Kanzlern und ihren Redenschreibern ergeht es wie Eheleuten: Die Gesichter werden sich stets ähnlicher

BERLIN taz ■ Der ältere Herr ließ den Verdacht gar nicht erst aufkommen. Der Redenschreiber, eine lichtscheue Gestalt? Von wegen! Kaum hatte Klaus Harpprecht den Raum betreten, da wurde er auch schon von Kameras umlagert. Freimütig bekannte der Stichwortgeber Willy Brandts, er habe zeit seines Lebens „das Licht eher gesucht“.

Erstmals trafen sich jetzt die Redenschreiber aller Kanzler seit Brandt zur öffentlichen Diskussion. Die Zunft, die sich einst viel auf ihre Verschwiegenheit zugute hielt, drängt mit Macht ans Tageslicht. Wer eine gute Rede schreiben will, so lautet jetzt das Credo, der braucht vor allem eines: einen eigenen Kopf – und den muss er auch zeigen dürfen. Tut er das, dann kommt schnell heraus: Allzu groß ist der Unterschied zum Kopf des Chefs in den meisten Fällen nicht.

Bei keinem der Redenschreiber hätte es eines Namensschilds bedurft, so sehr ähnelten sie in Aussehen und Habitus dem jeweiligen Chef. Wortgewaltig und charismatisch, mit knarzender Stimme und den Spuren eines ereignisreichen Lebens im Gesicht stellte Harpprecht – ganz Brandt – seine Nachfolger in den Schatten. Hanseatisch unterkühlt, mit grauem Sakko und ohne jedes Pathos trat Armin Halle auf, der unter Helmut Schmidt in der „Schreibstube“ des Kanzleramts Dienst tat. Weiche Züge und ein pfälzischer Akzent, dazu eine spürbare Distanz zum intellektuellen Milieu wiesen Stephan Eisel als Redenschreiber Helmut Kohls aus.

Der Hannoveraner Reinhard Hesse, der schon vor zehn Jahren vom taz-Autor zum Ghostwriter Gerhard Schröders mutierte, zeigte sich als ebenso hemdsärmeliger Niedersachse wie der amtierende Bundeskanzler – mit dem feinen Unterschied, dass Schröder jene Sätze, die Hesse ihm aufschreibt, weit volkstümlicher vorzutragen vermag.

In Harpprechts Schatten steht Hesse neuerdings auch deshalb, weil er sich für Schröders jüngste Regierungserklärung allzu freizügig Willy Brandts Antrittsrede nach der Wahl von 1972 bediente. „Langer Atem“, „im Alltag bewähren“, „Freiheit von Angst und Not“: Solche Formulierungen seien doch von solcher Banalität, rechtfertigte sich Hesse, dass kein Autor darauf ein Copyright beanspruchen könne. Dass „mehr Wachstum“ aber „nicht automatisch mehr Freiheit“ bedeute, sei durchaus ein origineller Gedanke – bei dem der Verweis auf Brandt leider „irgendwann weggefallen“ sei.

Brandt-Helfer Harpprecht nahm nicht nur das Recycling gelassen. Stammt das berühmteste aller Brandt-Zitate – „mehr Demokratie wagen“ – eigentlich von ihm? „Das ist ein Wort von Willy Brandt.“ RALPH BOLLMANN