„Wir setzen auf Selbstverpflichtung“

Ein Gespräch mit Sanem Kleff, der Leiterin des Projekts „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

taz: Sie haben in Deutschland 130 Schulen den Titel „Schule ohne Rassismus“ verliehen. Was müssen die Schulen dafür tun?

Sanem Kleff: Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Titelverleihung ist kein Preis und auch keine Auszeichnung. Vielmehr ist es eine Bestätigung, dass Schulen sich eine Selbstverpflichtung auferlegt haben. Das heißt, mindestens 70 Prozent aller Schulzugehörigen – Schüler, Lehrer, sonstigen Beschäftigen – unterschreiben, dass sie sich zu den Grundsätzen von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ bekennen.

Die Grundsätze lauten: Erstens werde ich mich gegen Diskriminierungen, insbesondere gegen Rassismus, einsetzen, zweitens werde ich nicht wegschauen, wenn Diskriminierungen stattfinden, und drittens werden wir einmal im Jahr ein Schulprojekt zum Thema durchführen.

Das hört sich sehr nach Eigeninitiative an.

Ja, und das unterscheidet uns von anderen Projekten. Die entwickeln Inhalte und tragen diese an die Schulen. Wir dagegen warten auf Schülerinnen und Schüler, die an uns herantreten und und ihrer Schule ein antirassistisches Profil geben wollen.

Was müssen die Schüler tun außer unterschreiben?

Die einzige formale Auflage, die wir machen, ist, dass sie jährlich ein schulweites Projekt machen. Wir legen unser Augenmerk stark auf die Differenzierung der Lebenswirklichkeit der Kinder. Deshalb geben wir auch keine einheitlichen, verbindlichen Inhalte vor. Wir wollen grundlegende Kompetenzen vermitteln und außerschulische Partner, die bereit sind, die Schüler zu unterstützen. Wir versuchen, Werkzeug an die Hand zu geben. Und natürlich stellen wir Kontakte zu anderen Schulen und Projekten her, um Erfahrungen und Material auszutauschen. Darüber hinaus organisieren wir Seminare, zum Beispiel für Schülerzeitungsredakteure, und fördern den Erfahrungsaustausch unter Schulen auf Landes -, Bundes und Europaebene.

Was sind das für Projekte an den Schulen?

Eine Schule in Frankfurt (Oder) zum Beispiel beschäftigt sich intensiv mit der deutsch-polnischen Frage. Das ist nicht unbedingt ein Thema für eine Schule in Hannover. Die beschäftigt eher die Frage: Wie leben denn die Kinder in dem Flüchtlingswohnheim zwei Straßen weiter?

Kann der Titel „Schule ohne Rassismus“ auch wieder aberkannt werden?

Noch hat sich dieses Problem nicht gestellt. Wichtig ist, die große Nachfrage der Schüler, die wirklich etwas tun wollen, zu befriedigen.

Die Projektidee „Schule ohne Rassismus“wurde 1988 in Belgien entwickelt und gilt dort als erfolgreich. Heute sind belgische Jugendliche neben den deutschen diejenigen mit der ausländerfeindlichsten Einstellung in Europa. Wie kann man da von Erfolg sprechen?

Wollen Sie damit sagen, ohne solche Projkete wäre es besser geworden? Wie will man denn an einer Schule messen, dass sie weniger fremdenfeindlich ist als vor einem Jahr? Daran, dass siebenmal seltener der Begriff „schwule Sau“ benutzt wurde?

Wie sinnvoll ist ein Projekt, wenn es Schüler anspricht, die sowieso schon ihr Augenmerk auf die Problematik geworfen haben?

Es ist gerade wichtig, Schüler zu unterstützen, die nicht schon Teil der rechten Jugendkultur sind. Wir dürfen sie bei ihren Anstrengungen, der rechten Szene einen demokratischen Lifestyle entgegenzusetzen, nicht allein lassen. Wenn man Ihren Gedanken konsequent zu Ende denkt, hieße das ja, dass sich jegliches Bemühen von Staat und Pädagogen ausschließlich auf die bereits gewalttätig gewordenen, sich rechts verhaltenden Kinder und Jugendlichen zu richten hat. Die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ist nicht rechts, braucht aber sehr wohl Unterstützung, um die notwendigen Kompetenzen zu entwickeln, die sie befähigen, als Erwachsene in dieser Gesellschaft den Mund aufzumachen, einzugreifen und Aktionen zu initiieren.

INTERVIEW: CHRISTINE BERGER

Sanem Kleff, 47, leitet seit zwei Jahren das Projekt „Schule ohne Rassismus“ auf Bundesebene. Sie arbeitet im Berliner Landesinstitut für Schule und Medien und ist im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Vorsitzende des Bundesausschusses für interkulturelle Angelegenheiten. E-Mail: schule@aktioncourage.org