Oswald Metzger lässt grüßen

Die Wirtschaftsliberalen und Jungen in der grünen Fraktion werfen Joschka Fischer und Fritz Kuhn vor, fast so sozialdemokratisch wie die SPD zu sein

Liegt das etwa nur daran, dass Metzger, diese Nervensäge, dieser grüne Liberale, nicht mehr da ist? „Joschka Fischer und Fritz Kuhn“, sagt Werner Schulz, „verletzen die grüne Leitidee der Nachhaltigkeit“

aus Berlin JENS KÖNIG

Liegt das alles etwa nur daran, dass der Metzger nicht mehr da ist? Oswald Metzger, diese Nervensäge, dieser glänzende Finanzfachmann, der wie kein anderer in seiner Partei für die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte stand, dieses urgrüne liberale Gegenbild zum sozialdemokratischen Besitzstandswahrer – hätte dieser Metzger verhindern können, dass der Kanzler die Grünen in der vorigen Woche beim Streit um die Erhöhung der Rentenbeiträge auf Zwergenmaß zurechtgestutzt hat?

Natürlich hätte Metzger nichts dagegen tun können. Gerhard Schröder hätte den Schwaben kalt lächelnd mit klein gemacht. Außerdem darf man ruhig daran erinnern, dass Metzger selbst schuld daran ist, dass er heute nicht mehr im Bundestag sitzt. Sein baden-württembergischer Landesverband hat ihm bei der Aufstellung der Listen für die Bundestagswahl zwar den aussichtsreichen sechsten Platz verweigert. Aber wenn er aus lauter Frust darüber nicht geschmollt und auf eine Kandidatur weiter hinten auf der Liste verzichtet hätte, würde er heute immer noch im Parlament mitmischen. Trotz alledem ist es vielleicht kein Zufall, dass jetzt, wo der wirtschaftsliberale Metzger weg ist, so häufig über die Sozialdemokratisierung der Grünen geklagt wird. Jetzt, wo die Partei, die sich eigentlich Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat, höhere Steuern, neue Schulden und eine Erhöhung des Rentenbeitrags auf 19,5 Prozent mit beschließt.

Andererseits war Metzger mit seinen eher unpopulären Auffassungen in der grünen Bundestagsfraktion nie allein. Er hat es zwar immer geschickt verstanden, sich in der Öffentlichkeit als Symbol für die grüne Forderung nach Rückzug des Staates und mehr Eigenverantwortung des Einzelnen zu verkaufen. Aber Abgeordnete wie Christine Scheel, Margarethe Wolf, Thea Dückert oder Werner Schulz haben in der Finanz- und Sozialpolitik ähnliche Reformpositionen vertreten wie Metzger. Und einige von ihnen melden sich jetzt zu Wort – ganz im Metzgerschen Sinne.

Zusammen mit mehreren neuen, jungen Bundestagsabgeordneten wettern sie gegen den rot-grünen Koalitionsbeschluss, den Rentenbeitrag auf 19,5 Prozent zu erhöhen. Der ostdeutsche Bürgerrechtler und Wirtschaftsexperte Werner Schulz kommentiert das Rentenergebnis so: „Da haben Sozialdemokraten untereinander verhandelt.“ Diesen Satz möchte er ausdrücklich als Vorwurf an die grünen Verhandlungsführer Joschka Fischer und Fritz Kuhn verstanden wissen. „Sie verletzen mit ihrer Nachgiebigkeit gegenüber der SPD die grüne Leitidee der Nachhaltigkeit.“

Die widerspenstigen Abgeordneten wenden in ihrem Protest eine beliebte Methode des Profinörglers Metzger an: die öffentliche Drohung, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern. Die grünen Abgeordneten wollen dem Rentengesetz am Freitag im Bundestag nur zustimmen, wenn die Regierung und die SPD-Fraktion ihre Bedingungen erfüllen. Die Reformkommission, die die Sozialdemokraten den Grünen als Trost für deren Niederlage im Rentenstreit zugestanden haben, soll knallharte, schriftlich fixierte Vorgaben erhalten: Nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch das Rentensystem und die Pflegeversicherung sollen grundlegend reformiert werden. Leitfaden dabei soll die Senkung der Lohnnebenkosten sein. Die Grünen wollen sich außerdem ihren Einfluss bei der Besetzung der Kommission schriftlich zusichern lassen. „Das muss anders werden als beim Bündnis für Arbeit oder bei Hartz“, sagt Schulz. „Das waren rein sozialdemokratische Expertenveranstaltungen. In der neuen Kommission müssen auch grüne Standpunkte zur Geltung kommen.“

Werner Schulz ist einer der Wortführer des grünen Aufstands, und er ist es auch, der diese Forderungen am schärfsten formuliert. „Wenn sich die SPD nicht bewegt, dann kann sie die Koalitionsmehrheit im Bundestag vergessen“, sagt er. Schulz bezeichnete den klaren Auftrag für die Reformkommission als „unabdingbare Voraussetzung“ für seine persönliche Zustimmung zum Rentengesetz. Schulz weiß, welchen Druck er damit ausübt. Bei einer rot-grünen Mehrheit im Bundestag von acht Stimmen reichen fünf Abgeordnete, die ihre Zustimmung verweigern, und schon hat Schröders Regierung Feuer unterm Dach.

Ob das alle grünen Abweichler so sehen wie Schulz und wie viele Abweichler es überhaupt sind, ist nicht so ganz klar. In der Fraktionssitzung am letzten Dienstag war der Unmut bei den Grünen über die Rente jedenfalls gewaltig. In einer Art Probeabstimmung verweigerten da 20 bis 25 von insgesamt 55 Abgeordneten dem rücksichtslosen Sieg Schröders die Zustimmung. Und viele derjenigen, die das Ergebnis abgesegnet haben, taten dies nur aus Rücksicht auf die Koalitionsräson. „In der Sache“, schätzt Schulz, „sind 80 bis 90 Prozent aller Abgeordneten dagegen.“

Die Fraktionsführung um die beiden neuen Vorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt ist immer davon ausgegangen, dass diese Unmutsäußerungen in der Fraktion nur als Denkzettel an die SPD zu verstehen sind, die Mehrheit im Bundestag aber sicher steht. Die beiden mussten sich eines Besseren belehren lassen. Mehrere Abgeordnete stellen für ihre Zustimmung jetzt Bedingungen.

Der Protest in der grünen Fraktion formiert sich aber eher ungeordnet und unabgesprochen; es existiert kein fester Kreis von Verschwörern und kein Drehbuch für eine Revolte. Namentlich bekannt von den Abweichlern sind bislang Schulz, die Umweltexperten Reinhard Loske und Michaele Hustedt, die jungen Abgeordneten Alexander Bonde und Anna Lührmann sowie der Verkehrsexperte Albert Schmidt. Schulz vermutet, dass noch mehr Abgeordnete als diese sechs zu denen gehören, die an ihre Zustimmung zum Rentengesetz Bedingungen knüpfen. Aber Hustedt zum Beispiel klingt nicht so, als sei sie bis zum bitteren Ende entschlossen. Auf die Frage, was denn passiere, wenn die SPD die grünen Forderungen nicht erfülle, antwortet sie: „Dann sehen wir weiter.“