Zeit zum Steigern

Joe Zawinul produzierte in Bremen mächtig Gegenwart mit einer Mixtur aus Konzentration und Euphorie

Kaum zu glauben, dass sich Joe Zawinul im April in den 18. Stock des Wiener Hilton setzte, um die Stücke für das neue Album „Faces & Places“ zu komponieren. Eher hätte man die 70-jährige Koryphäe mit der bunten Ethno-Strickmütze in einer abgelegenen Steiermark-Hütte vermutet, inmitten von Kabelwust und rustikaler Holzvertäfelung, die Weltmusiker seines multinationalen „Syndicate“ um sich.

Gemeinsam würden sie im Ethno-Fusion versinken, mittags im Gasthof zur Post vegetarischen Germknödel essen und abends am Kamin an neuen Sounds frickeln. Das würde passen. Denn die Musik, die Zawinul mit dieser Band zustande bringt, ist ganz und gar Gemeinschaftsprodukt – vor allem live, wie sich am Sonntag im Modernes herausstellte.

Trotzdem ist Zawinul Chef in dieser Band, keine Frage, und bei ihm heißt das vor allem: Blickkontakt halten, zuhören und Spannungsbögen produzieren. Eine sowieso wache Band bis zur Hyperaktivität bringen. So dass zuletzt treibende Songs entstehen, die sich viel Zeit nehmen, sich beständig zu steigern.

Dabei sind Zawinul und sein „Syndicate“ konzentriert und euphorisch zugleich, und diese Mixtur holt die Musik in die Gegenwart – auch wenn Zawinul einmal mehr das macht, was man seit Jahren von ihm kennt. Irritierend sind nur die mittlerweile wirklich antiquierten Sounds: Zawinuls Keyboards klingen immer noch wie seinerzeit in den 70ern bei „Weather Report“, und manchmal klingen sie gar nicht mehr, sondern klirren nur noch.

Was allerdings ganz und gar aufgefangen wird durch ein „Syndicate“ auf Weltklasse-Niveau: Die belgisch-afrikanische Sängerin Sabine Kabongo hat nicht nur Kraft, sondern auch Stil, Bassist Etienne Mbappé aus Kamerun dürfte technisch kaum zu toppen sein und Schlagzeuger Paco Sery hat an der Elfenbeinküste herausgefunden, wie aus hektischen, kleinteiligen Pattern druckvoller, energiegeladener Groove wird.

„Danke“, meinte Joe Zawinul mit breitem Österreicher Akzent zur Verabschiedung, „danke, dass-z am Sunndag no nausganga sads und ned zum Fernsähr. Fernsähn is a guad, aber des is gscheida.“ Da hatte er Recht. Uneingeschränkt. Klaus Irler