„Wohnungsnot ist hausgemacht“

Innere Mission erhebt Vorwürfe gegen die großen Wohnungsbaugesellschaften: Im Notfall kommen Wohnungslose dort kaum noch unter. Die Steuerzahler kostet das viel Geld: Schon das billigste Hotel ist viel teurer als eine feste Bleibe

Knapp neun Millionen Euro Gewinn hat die Wohnungsbaugesellschaft Gewoba vergangenes Jahr erwirtschaftet. 32.000 Wohnungen verwaltet die mächtigste Vermieterin Bremens. Doch für Wohnungslose hat sie zunehmend wenig übrig – wie auch die Bremische Wohnungsbaugesellschaft mit 6.300 Wohnungen. So jedenfalls bewertet Bertold Reetz vom Verein für Innere Mission die jüngste Entwicklung bei den Wohnungsbaugesellschaften, an denen Bremen nach wie vor die Mehrheit hält.

Die Innere Mission unterhält derweil im als Papageienhaus bekannten Jakobushaus am Bahnhof für 46 Männer Notunterkünfte. Nach maximal sechs Wochen sollen die Wohnungslosen weiterziehen – in eine andere Einrichtung oder in eigene vier Wände. „Aber seit ungefähr einem Jahr finden unsere Leute weder bei der Gewoba noch bei der Bremischen ein Dach über dem Kopf“, beobachtet Reetz.

150 dringend Wohnungssuchende führt die Innere Mission seit Monaten auf einer Liste. Für viele zahlt das Amt für soziale Dienste mindestens 30, manchmal bis zu 80 Euro pro Tag in einer Unterkunft. Das allein wäre aus Reetz‘ Sicht ein guter Grund, Wohnungen wenigstens für diejenigen bereitzustellen, die – oft nach einer Krise, verschuldet und mit Suchtproblemen belastet – jetzt wieder unabhängig leben können. „Die Betroffenen wollen das – und wir auch.“ Nichts wäre zudem kostengünstiger als eine Wohnung. Doch haben nach seinen Berechnungen zuletzt nur 17 Prozent der wohnungssuchenden Obdachlosen eine Bleibe gefunden. Vor fünf Jahren waren es noch doppelt so viele. Zugleich gebe es einen sprunghaften Anstieg von Einweisungen in Notunterkünfte und Pensionen – oder Plätze in Unterkünften, die eigentlich für Notfälle gedacht sind, blieben belegt.

Von fünf Frauen beispielsweise, die bei der Inneren Mission derzeit in Übergangswohnungen leben, könnten drei sofort ausziehen. „Aber zwei von ihnen suchen schon seit einem halben Jahr vergeblich eine Wohnung“, sagt die zuständige Hausleiterin Heidi Mergner. Dabei arbeite eine Frau regelmäßig, die andere mache eine Weiterbildung. Eigentlich erfreulich – sähe der Wohnungsmarkt für Menschen mit Schufa-Eintrag und Schulden nicht so finster aus – „obwohl Wohnungen leer stehen.“

„Die Wohnungslosigkeit in Bremen steigt. Sie ist hausgemacht“, folgert Reetz. Der Grund: Immer seltener würden die neuerdings zuständigen Sozialzentren Vermietern Sicherheiten bei Mietausfall oder Renovierungsbedarf nach Zerstörung oder Verwahrlosung garantieren.

Peter Bozetti von der Gewoba widerspricht. „Wir vermitteln auch Wohnungen an Leute mit Schufa-Einträgen“, sagt er. Voraussetzung sei, dass eine dritte Partei wie das Sozialamt die Miete garantiere. „Aber viele wollen keine Wohnung in Lüssum, wo etwas frei wäre. Oder sie wollen ein Häuschen mit Garten.“ Da könne er nicht helfen. Wie oft in diesem Jahr aber Obdachlose bei der Gewoba unterkamen, wisse er nicht. NutzerInnen und BetreuerInnen im Jakobus-Haus sagen unterdessen: „Die Gewoba sagt es nicht laut. Aber unsere Leute laufen da auf.“

Bei der Bremischen heißt es dagegen offen: „Wenn die Sozialbehörde für Dringlichkeitsfälle keine Sicherheiten garantiert, können wir keine Wohnungen vermitteln.“ Das betreffe nicht nur Obdachlose. „Wir müssen uns gegen Mietausfälle absichern, die insgesamt zunehmen“, sagt Anne Lüking. Übernähmen die Sozialzentren wie vorgesehen Risiken, sei das Wohnungsproblem zu lösen. Doch offensichtlich werde das Geld aus unterschiedlichen Töpfen bewilligt – hier die Sicherheiten für die Mietzahlungen, dort die Ausgaben für Wohnungslose, wenn diese Tagessätze bekommen.

Der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Gertseema teilt diese Sicht. Er kennt mehrere Negativ-Beispiele aus Gröpelingen, wo das Sozialzentrum für Dringlichkeitsfälle keine Sicherheiten übernahm. „Damit verkehrt sich ein gut gemeintes Integrationsinstrument in ein Ausschlussinstrument“, warnt er. Eigentlich habe die Sozialbehörde selbst geregelt, „Dringlichkeitsfälle“ wie Wohnungslose vorrangig zu versorgen. Doch wer heute als Dringlichkeitsfall ohne Risikoübernahme auftrete, habe keine Chance. ede