Närrisches Treiben im Wendland

Bislang verlaufen die Proteste gegen den Atommüll-Transport überwiegend friedlich. Morgen erreicht der Castor Lüneburg. Dort probten die Gegner bereits für die Blockaden. Unterdessen wurde das Demonstrationsverbot auf Göttingen ausgedehnt

WENDLAND taz ■ Flotter Hirsch, Castortubbies oder Orks aus dem Film „Herr der Ringe“: Danneberg erlebte gestern, am 11. 11., rheinischen Frohsinn. Die wendländische Kampfhundestaffel – drei Dackel im Kinderwagen, Köche, „die vor Wut kochen“; Wagen mit Spruchbändern wie „Wir grüßen all die Narren in grün“ – vielleicht 1.500 Castor-verrückte Närrinnen und Narren versammelten sich um 11.11 Uhr auf dem Markplatz, um dann feucht-fröhlich zur Verladestation zu ziehen. Erreicht hat der Karnevalszug – Motto „De Zoch kütt“ – diese dann natürlich nicht. Gut ein Kilometer zuvor verhinderte das die Polizei.

„Macht nichts. Wir wollen nur zeigen, dass wir da sind“, sagt Wolfhard Pröhl. Bis vergangenen Donnerstag war Pröhl Fraktionschef der Bündnisgrünen im Dresdner Stadtrat, dann trat er aus Protest gegen „die grüne Atom- und Kriegspolitik als Fraktionschef zurück und aus der Partei aus. Überhaupt die Grünen: In den Zug der Karnevalisten hatten sich vielleicht 40 Mitglieder der Grünen Jugend eingereiht, die vor lauter Debatten nicht zum Feiern kamen. „Beim Atomkonsens sind die Grünen umgekippt, beim AKW Obrigheim, und am Donnerstag werdet ihr bei der Rente umkippen“, schimpft lautstark ein Demonstrant. „Die Grünen sind die Umkipp-Partei.“

Entlang der Transportstrecke sind Demonstrationen verboten. Unmittelbar vor dem Start des Atommüllzuges in La Hague bestätigte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg gestern das von der Bezirksregierung verhängte Demonstrationsverbot 50 Meter links und rechts von Schiene und Transportstraße. Die Bezirksregierung hatte das Verbot damit begründet, dass auf Grund von früheren Erfahrungen mit gewalttätigen Protesten zu rechnen sei. Auch die Stadt Göttingen hat Demonstrationsverbot verhängt. „Es gilt in einem Korridor von beiderseits 50 Metern der Bahnanlagen von heute 22.00 Uhr, bis Mittwoch, 20.00 Uhr“ erklärte ein Sprecher.

Die Anti-Atom-Bewegung kündigte an, dass sie trotzdem auf dem Transportweg demonstrieren wollen. „Wenn uns jemand daran hindern möchte, dann funktioniert das nur mit Einsperren, Festhalten und Gewalt“, sagt Sören Janssen, Sprecher von „X-tausendmal quer“. Und die Aktivisten haben guten Wind in den Segeln. „Die Aktionen vom Wochenende mit insgesamt über 5.000 Teilnehmern haben uns positiv überrascht“, erklärte der Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg, Francis Althoff.

Überrascht waren auch zwei Polizisten. „Am Sonntagnachmittag fuhr ein Trecker auf einen Beamten zu. Dieser zog in der für ihn bedrohlich wirkenden Situation seine Dienstwaffe“, erklärte gestern die Polizei. Ein ähnlicher Vorfall wurde aus Splietau gemeldet. Während die Polizei angibt, dass die Beamten auf die Reifen gezielt hätten, erklärt die Bürgerinitiative, Ziel seien die Fahrer gewesen.

Heute Nachmittag wird das Dutzend Castoren die deutsch-französische Grenze, morgen Früh Lüneburg erreichen. Dort hatte das Aktionsbündnis Heidewerkstatt für gestern Früh zum Intervalltraining aufgerufen. Rund 150 DemonstrantInnen blockierten ab 7.30 Uhr nacheinander die vier Hauptverkehrskreuzungen am Stadtring und trieben Frühsport. Nach jeweils zehn Minuten kurz vor der Räumung durch die Polizei gaben sie die Straße wieder frei und sickerten in Kleingruppen durch die historische Altstadt zum nächsten vereinbarten Treffpunkt. Die Lüneburger KraftfahrerInnen zeigten Gelassenheit, viele sogar Verständnis – bis auf einen Mofa-Fahrer, der einen Demonstranten ins Gesicht schlug.

HEIKE DIERBACH, NICK REIMER