„Friedhöfe stiften Identität“

Gerald Eppler, stellvertretender Direktor des Museums für Sepulkralkultur, über Würde und Wandel der Trauerkultur

taz: Herr Eppler, haben Sie sich schon einmal Gedanken darüner gemacht, wie Sie beerdigt werden wollen?

Gerald Eppler: Früher wollte ich mich einäschern lassen, die Asche dann auf eine Weltraumsonde packen lassen und dann noch eine Runde mit dem 70er-Jahre-Drogen-Guru Timothy Leary drehen.

Und heute – was denken Sie heute darüber?

Ich habe meine Auffassung geändert – aber ich sehe auch nicht die Notwendigkeit, mich da dezidiert festzulegen.

Der Tod kann schnell kommen.

In Hinblick auf meine Bestattung machen ich mir weniger Gedanken. Mir nutzt die eigene Bestattung letzten Endes sowieso nichts. Sie sollte der Trauerarbeit der Angehörigen dienen.

Warum gibt es in Deutschland einen „Sargzwang“?

Das kommt aus der Zeit der Aufklärung. Damit wollte man unter anderem vermeiden, dass Scheintote beigesetzt werden.

Kann es in einem Sarg denn nicht viel leichter passieren, dass ein Scheintoter beerdigt wird?

Nein. Denn gleichzeitig mit dem Sargzwang wurde auch die Regel eingeführt, dass der Leichnam bei einer Beerdigung mit dem Sarg drei Tage aufbewahrt werden muss.

Ein Argument gegen die Übergabe der Urne an die Hinterbliebenen ist, dass ein „würdiger Umgang“ mit der Asche des Toten nicht gesichert sei. In den Niederlanden ist das aber erlaubt. Gehen die Niederländer deswegen unwürdiger mit Toten um?

„Würdig“ ist ein schwieriger Begriff. Ich hatte jetzt zum Beispiel eine Anfrage, ob eine Schnecke aus Stein auf einem Grabstein friedhofswürdig ist. Der Friedhofsträger sah die Würde des Friedhofs als verletzt an. Wenn man aber forscht, stellt man fest, dass die Schnecke tatsächlich ein Auferstehungssymbol ist und früher auf Grabsteinen zu finden war.

Würde ist relativ.

Es gibt einen Auslegungsspielraum. In den Niederlanden ist die Beisetzung bestimmt nicht weniger würdig als in Deutschland. Es kommt vielmehr auf die Haltung, auf die Einstellung aller Beteiligten an. Auch die gegenwärtig erlaubten Beisetzungen können sehr unwürdig sein.

Wie kann man aber einen würdigen Umgang mit der Asche des Toten noch nach 10, 20 Jahren sicherstellen, wenn vielleicht der nächste Angehörige auch schon tot, die Familie zerfallen ist?

Das ist das Problem. Erd- und Feuerbestattungen sind in Deutschland rechtlich gleichgestellt. Wenn man nun mit der Urne nach Hause darf, müsste man auch den Leichnam mit nach Hause nehmen und zu Hause im Garten beerdigen dürfen – in den Niederlanden ist das sogar möglich. Dazu braucht man aber vorher ein Bodengutachten. Das ist allerdings ein aufwändiges Verfahren, das von niemandem angestrebt wird.

Ginge durch das Ende des Sarg- und Friedhofzwangs ein Stück Trauerkultur unwiederbringlich verloren?

Sie würde sich wandeln. Das Problem ist die Privatisierung der Trauer. Der Zugang zu einem Ort, der allen zugänglich ist, kann wichtig sein, weil der Verstorbene durch seinen Tod ja nicht nur der Familie entzogen wird, sondern auch einem Freundes- und Bekanntenkreis. Friedhöfe haben auch für die Gesellschaft eine Bedeutung, weil sie Identität stiften. Wenn ich alle Trauerarbeit in die Privatsphäre verlagere, geht ein Teil der Geschichte verloren.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER

Gerald Eppler, 42, ist stellvertretender Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel