Charlton Heston, My Rifle & Me

Mit Stimmungsmache gegen Stimmungsmache: In seiner Dokumentation „Bowling for Columbine“ nimmt Michael Moore US-amerikanischen Waffenwahn und die Erklärungsversuche nach dem Massaker von Littleton auf‘s Korn

Der weiße Amerikaner ist an erster Stelle ein angstgeplagter Amerikaner

von URS RICHTER

Das intellektuelle Filetstück seines Films serviert Michael Moore à la South Park. Alberne Zeichentrickfiguren durcheilen die Geschichte des amerikanischen weißen Mannes, von den Pilgrim Fathers zur National Rifle Association (NRA). Dabei illustrieren sie Moores „Theory of Fear“: Der weiße Amerikaner ist an erster Stelle ein angstgeplagter Amerikaner. Am Anfang ängstigten ihn Rothäute, dann Briten, später die Schwarzen. Und nun hat er Angst vor bärtigen Muselmanen. Die Mittel gegen seine Angst heißen Recht auf Waffenbesitz, Ku Klux Klan und Charlton Heston. Letzterer ist Präsident der NRA und weiß vier Millionen schwer armierte Mitglieder hinter sich.

Das Comicformat lässt erkennen: Regisseur Moore liebt Vereinfachung. Polemik und guten Witz zieht er meist dem Argument vor. Angesichts des Wahnsinns, den seine Waffen-Dokumentation Bowling for Columbine dem alltäglichen Amerika diagnostiziert, ist Humor womöglich die beste Reaktion. „More bang for buck“ buhlt eine Bank um Kundschaft, zur Kontoeröffnung gibt‘s die Knarre gratis. Passende Munition ist im Supermarkt erhältlich. „Wie sonst sollen wir unsere Familien schützen?“, argumentieren große Jungs in Camouflage.

Familien aber sind es, die am häufigsten Opfer der Schießwut werden. Die beiden Halbwüchsigen Dylan Klebold und Eric Harris exekutieren nach morgendlichem Ausflug zur Bowlingbahn zwölf Mitschüler und Lehrer an der Columbine High in Littleton. Der öffentliche Reflex auf das Massaker ist typisch. Medien füttern die Sensationslust auf Voyeurismus, Mitleid, Gänsehaut, und in Gestalt von „Experten“ macht die Moral Front: Schuld seien Videospiele, Horrorfilme, Actionhelden und die böseböse Rockmusik.

Dass brutale Populärkultur notwendig die Jugend verroht, widerlegt jedoch der Blick nach Japan. Die Mordrate dort liegt 217- mal niedriger als in den Staaten, obwohl die derbsten Gewaltphantasien in Fernost konsumiert werden. Der statistische Vergleich mit Kanada zeigt außerdem, dass weit verbreiteter Waffenbesitz nicht der alleinige Grund für viele tausend Morde pro Jahr sein kann. Dort wird genauso viel geballert, aber kaum auf Menschen.

Moores These lautet, Amerikas chronischer Rassismus, sein Sheriffgehabe, seine narzisstischen Psychosen seien durch Hundertere von Provinzsendern zu Selbstläufern geworden. Denn Gewalt bringt Quote und Spitzenwerte erklimmen „Reality“-Formate: Sondereinsatz gegen Dealer, mit Cops auf Streife, etc. Die vom TV suggerierte Bedrohung erzeugt eine Paranoia, die ihrerseits als Gewalt ausbricht. Ein Kreis schließt sich.

Es ist Moores Verdienst, diesen Kreis aus Perspektive der sozusagen Eingeschlossenen zu zeigen. Marilyn Manson, selbst ernannter Schockrocker, wehrt ideologische Kritik an seiner Musik gelassen ab. Zwei schwer geschädigte Überlebende des Massakers in Littleton zeigen ihre Narben den erbleichenden Pressesprechern jener Supermarktkette, die dem Amokschützen Munition verkaufte. Perspektivloser White Trash erzählt freimütig vom Bombenbasteln. Moore, in XXL-Jeans, mit speckiger Brille und Mutterwitz, bringt sie alle zum Reden und weiß sich dabei wirkungsvoll als Stimmverstärker ins Bild zu setzen. Der Jury in Cannes war das den diesjährigen Spezialpreis wert.

Die – im Grunde eitle – Masche, sich naiver zu geben, als er in Wirklichkeit ist, betrieb Moore schon in Roger & Me (1989), der Film, der ihn zum US-Vorzeige-Linken machte. Damals hieß der Feind Roger Smith, Präsident von General Motors. Dem rückte Moore auf die Pelle, nachdem eine GM-Werksschließung in Michigan Tausende Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut getrieben hatte. Zumindest stellte Moores Film diese Kausalität her. Später musste er zugeben, die Chronologie der Ereignisse manipuliert zu haben.

Im neuen Film geht die Promijagd auf den Gladiator der Waffenindustrie, auf Charlton „I‘ll give up my gun – when they pry it from my cold, dead hands“ Heston. Befragt nach seinen Empfindungen angesichts der Erschießung einer Sechsjährigen durch ihren gleichaltrigen Klassenkameraden, flüchtet der reichlich klapprige Heston aus den heimischen Wänden. Moores Hemdsärmeligkeit beschert ihm hier allenfalls eine billige Trophäe. Dass er dem Greis dann auch noch ein Foto des ermordeten Mädchens zur Mahnung in den Vorgarten stellt und sich selbst beim betroffenen Davontrollen filmt, gleicht der schleichenden Stimmungsmache, die sein Film anprangert. Wäre er doch offensiv polemisch geblieben.

Preview: Mo, 20 Uhr, Abaton; der Film startet am 21.11.