Emily Dickinson-Texte fürs „Lacrimosa“

NDR-Sinfonieorchester setzt den beim diesjährigen Musikfest begonnenen Beethoven-Zyklus fort. Höhepunkt wird die an Mozarts „Requiem“ angelehnte Komposition „Chanting to Paradise“ der Amerikanerin Augusta Read Thomas sein

Beethovens fünf Klavierkonzerte, berühmte Fragmente der Musikgeschichte von Mozart, Schubert, Bruckner, Mahler und Hartmann sowie fünf Erstaufführungen bilden das Programm eines Aufführungszyklus des NDR-Sinfonieorchesters in Hamburg, Köln und Frankfurt. Nach dem Beginn der Reihe beim Hamburger Musikfest steht nun das zweite Konzert an. Dieses Mal verspricht die Werkkonstellation besonders reizvoll zu werden, denn es steht neben Beethovens 1. Klavierkonzert das Fragment des Mozart-Requiems auf dem Programm. Als Uraufführung wird eine Komposition der Amerikanerin Augusta Read Thomas zu hören sein, die direkt auf Mozarts Stück Bezug nimmt.

Read Thomas ging es mit ihrem Werk Chanting to Paradise nicht um eine Vervollständigung oder Komplettierung des Mozartschen Fragments. Stattdessen schrieb sie ein mehrsätziges Stück, das an die noch von Mozart ausgeführten Takte des Lacrimosa anknüpft, um dann einen eigenständigen kompositorischen Weg mit selbst gewählten Texten einzuschlagen.

Das bruchstückhafte Lacrimosa dürfte sich aus zwei Gründen geeignet haben, als Ausgangspunkt einer solchen Neukomposition zu dienen. Zum einen hat das Stück wesentlich zur geheimnisvollen Aura beigetragen, die das gesamte Werk umgibt, da man glaubte, Mozart sei über der Komposition dieser Stelle verstorben. Zum anderen markiert es eine Art Wendepunkt in der Dramaturgie des Stückes, da ab dieser Stelle die in der Musik eingefangene Angst vor dem Tod immer mehr einer hoffnungsfrohen Verklärung weicht.

Die 1964 geborene amerikanische Komponistin Read Thomas war sich der Problematik einer zeitgemäßen und dabei in einer eigenen Musiksprache gestalteten Fortschreibung von Mozarts Meisterwerk wohl bewusst und tastete sich deshalb voller Respekt an die große Aufgabe heran. Sehr sprachstarke und konzentrierte Gedichte von Emily Dickinson wiesen ihr schließlich einen Weg. Musikalische Anbiederung wird von der Amerikanerin kaum zu befürchten sein. Allerdings überzeugte ihr vor kurzem bei den Niedersächsischen Musiktagen gespieltes neues Streichquartett wegen seiner wenig originellen, in Konventionen der Siebziger und Achtziger verharrenden Klanglichkeit kaum.

Nach den Werken von Mozart und Read Thomas wird beim morgigen, von Christoph Eschenbach dirigierten Konzert noch Beethovens 1.Klavierkonzert musiziert. Nach dem Beethoven-Triumph des französischen Pianisten Pierre-Laurent Aimards beim Hamburger Musikfest würde es nicht wundern, wenn auch dieses Mal eine singuläre Interpretation zu erleben wäre. REINALD HANKE

Freitag, 15. November, 20 Uhr, Musikhalle