Blutblumen für ihn

Es war ein müder Tag, bis dieser Anruf kam. Die Geschichte einer Begegnung mit Robert Smith von The Cure, dem Idol unserer Jugend, der uns lehrte, dass Jungs weinen dürfen und es gar nicht schlimm ist, dick zu sein und zu sterben

Ein bleischwerer Tag. Die Nacht nicht lang genug, um sich vom Vorabend zu erholen: Fünf Stunden The Cure im Tempodrom, fünf Stunden kein einziges fröhliches, sondern ausschließlich traurige – ach was, traurige, todessehnsüchtige, aufreibend verzweifelte Lieder waren das: richtig schwere, körperliche Arbeit, dieses Rumstehen und pausenlose Ergriffensein, das man seinem Fantum schuldig ist. Wann hat man denn schon die Möglichkeit, ein zwanzig Jahre altes Album komplett aufgeführt zu bekommen, ein Album, an das man mal sein ganzes Herz gehängt hatte, sprach man sich gut zu. Hatte aber trotzdem das Gefühl, dass man so einen Abend nicht noch einmal durchstehen würde, nur weil man sich vor lauter Nostalgie auch für das zweite Konzert von The Cure Karten besorgt hatte. Aber dann der Anruf, der alles durcheinander bringt.

G. hat einen Interviewtermin mit Robert Smith und ich soll mit. Der Hörer fällt mir fast aus der Hand. Im ersten Moment weiß ich gar nicht, ob ich mitwill. Vielleicht ist er ja gar nicht so nett, der Robert, wie ich ihn mir als Teenager vorgestellt habe. Am Ende lässt er uns abblitzen. Reagiert gar nicht auf unsere Fragen. Macht den arroganten Schnösel. Aber dann entscheide ich mich natürlich doch schnell dafür. Es wäre ja ein Frevel, sich so eine Chance entgehen zu lassen, Robert Smith, dem Idol meiner Jugend nicht die Hand schütteln zu wollen, ihm, der uns lehrte, dass Jungs weinen dürfen und dass es gar nicht schlimm ist, dick zu sein und sterben zu müssen. Also raus aus dem Haus, Blumen gekauft, viele Blumen natürlich, rein ins Taxi und los. G. springt genauso aufgeregt vor dem Tempodrom herum wie ich. Die Zeit verrint zäh, bis Robert Smith endlich den Raum betritt.

Er sieht viel jünger aus als auf der Bühne, auf Fotos und in den Videos, und er lächelt die ganze Zeit. Alles, was er sagt, klingt wie extra für uns, so nett, so smart, so charmant. Sein britischer Akzent ist unschlagbar. Er erzählt, dass die drei Alben, die er auch heute noch einmal spielt, „Pornography“ von 1982, „Disintegration“ von 1989 und „Bloodflowers“ von 2000, seine persönlichsten sind, weil er sie schrieb, als er um die zwanzig, dreißig und vierzig Jahre alt war. Dass es ein komisches Gefühl sei, die Lieder von „Pornography“ noch einmal zu spielen, es seien ja nur Songs und nicht er selbst, höchstens ein Aspekt von ihm, aber trotzdem würden sie ihn mit zurücknehmen in diese aufgewühlte, aggressive Stimmung, in der er damals war. Damals hätte er es nicht geglaubt, dass er zwanzig Jahre später mit „Bloodflowers“ eine Trilogie vollenden würde, deren erster Teil diese Platte war, von der er dachte, sie würde das Ende seiner Karriere, wie er sagt.

Freundlich blinzelt Robert Smith in die Kamera, lacht ein bisschen, weil er dieselben Schuhe anhat wie der Kameramann, schön stabil sind die, lacht er, da fällt man nicht so leicht vornüber, wenn man betrunken ist. Ich nehme mir ein Herz und überreiche ihm meine blutroten Rosen. Er freut sich, freut sich wirklich, bedankt sich und bedankt sich noch einmal. Wir werden uns sein Konzert noch einmal ansehen. SUSANNE MESSMER