Die Helden von B.

Der FC Basel hat als erste Schweizer Mannschaft überhaupt die zweite Runde der Champions League erreicht. Dass er gegen Liverpool dabei einen 3:0-Vorsprung einbüßt, spielt am Ende keine Rolle

aus Basel TOBIAS SCHÄCHTER

In ferner Zeit, wenn die Geschichte dieses Abends von Generation zu Generation weitererzählt worden ist, werden Enkel auf dem Schoß ihrer Großväter sitzen und sie werden aufzählen: Zuberbühler, Haas, Murat Yakin, Koumantarakis, Zwyssig, Atouba, Ergic, Cantaluppi, Esposito, Hakan Yakin, Rossi, Tum, Gimenez, Esposito. Und dazu werden sie Minuten nennen und Tore sowie wiederum Namen: 1:0 Rossi in der 2.; 2:0 Gimenez in der 22.; 3:0 Atouba in der 29. Dann werden die Enkel kurz innehalten, um ihre selig entrückt lächelnden Großväter anzuschauen. „Gut“, werden die Enkel denken – und flüsternd fortfahren: 3:1 Murphy in der 60.; 3:2 Smicer in der 63.; 3:3 Owen in der 84. Pssst! Und wieder laut: FC Basel gegen FC Liverpool 3:3! „Ja, mein Junge“, werden die Großväter dann mit Tränen in den Augen seufzen. „Und ich war dabei!“

Diesen 12. November des Jahres 2002, an dem der FC Basel durch ein 3:3 gegen den FC Liverpool erstmals in die Zwischenrunde der Champions League eingezogen ist, werden sie in Basel, ach was: in der ganzen Schweiz nicht vergessen. „Das war eine der sensationellsten Schweizer Sportleistungen aller Zeiten“, schwärmte René C. Jäggi, vor zwei Wochen noch Präsident dieses blau-roten Wunders, und dabei flanierte er aufgekratzt durch die Reihen, gab Honeurs und genoss den Triumph. Der Vater des Basler Erfolges durfte zusehen, wie sich im St.-Jakob-Stadion 29.000 Basler ins Delirium feierten.

Oben, im zweiten Rang der Haupttribüne, wo der Basler Geldadel sitzt, drückte auch Gigi Oeri die Daumen. Das Vermögen der Frau des Roche-Erben Andreas Oeri wird auf 17 Milliarden Euro geschätzt. Vor vier Jahren lud Jäggi den Lions Club Basel zu einem Spiel ins „Joggeli“ ein. „Der Frau hat’s gefallen“, lächelt Jäggi. Und wie: Seit Jäggi den 1. FC Kaiserslautern zu retten versucht, ist Madame Oeri der starke Mann beim FC Basel. Sie hält als Vizepräsidentin 95 Prozent der FCB-Marketing AG und hat den Klub quasi gekauft. „Aber das ist nicht nur ein finanzielles Investment“, sagt Jäggi. „Für Frau Oeri ist das ein Investment of Emotions.“

Ein solches kann freilich auch weh tun. Denn als Michael Owen sieben Minuten vor Schluss aus dem 3:0 Vorsprung der Hausherren ein 3:3 gemacht hatte, als die Sekunden für die Basler Anhänger also plötzlich zu Stunden wurden, da drückte auch Frau Oeri ihre Daumen so fest, dass ihre Finger blau anliefen und ihr solariumgebräuntes Gesicht sich beinahe so lila färbte wie das Gesicht eines unter Blähungen leidenden Neugeborenen. Der Schlusspfiff war dann nur noch eine einzige Erlösung.

Bei allem Zittern: Wie schon in der Qualifikation gegen Celtic Glasgow zelebrierte der FC Basel eine „schlicht fantastische erste Halbzeit“, wie Trainer Christian Gross feststellte. Oder wie der Kommentator des Schweizer Fernsehens dichtelte: „Das war Kaviar auf grünem Rasen.“ Der Vorstoß unter die besten 16 Mannschaften Europas ist der größte Erfolg in der 109-jährigen Vereinsgeschichte. Und da der Appetit auch am Rheinknie beim Essen kommt, sieht man in Basel nun die Chance, den FCB als Marke im europäischen Fußball zu etablieren. „Wir sind wieder ein Stück näher an die europäischen Spitzenmannschaften gerückt“, stellte Gross, den sie „den Größten“ nennen, fest.

Mit den konservativ geschätzten acht Millionen Euro Mehreinnahmen aus der nun anstehenden Zwischenrunde sowie den Oeri-Milliarden auf der Bank wird der FC Basel tatsächlich in Zukunft nicht zum Sparen gezwungen sein. Und somit wird man auch die begehrtesten Spieler, wie etwa den fünffachen Champions-League-Torschützen Julio Hernan Rossi, nicht ziehen lassen müssen, zumindest nicht aus finanziellen Gründen. Aus anderen Gründen wollen die Spieler ohnehin nicht weg. „Wir können hier Geschichte schreiben“, sagt beispielsweise Murat Yakin. War er in Kaiserslautern noch die zur Schau gestellte Langsamkeit eines alten Mulis, so ist er in Basel nun Kapitän und Kopf der Mannschaft – und spielt so gut wie nie.

Überhaupt: Jahrelang war der Schweizer Fußball am Boden. Aber es scheint, als ziehe ihn der FC Basel nun aus dem tiefen Tal der Bedeutungslosigkeit. Erst wurde die U17 Europameister, dann, in diesem Sommer, die U21 (natürlich in Basel, wo sonst?) Vize-Europameister. Selbst die „Nati“ hat gute Chancen, sich für die EM 2004 in Portugal zu qualifizieren.

Mit gemischten Gefühlen trat derweil Liverpools Trainer Gerard Houllier vor die Presse. Einerseits war er stolz auf seine Mannschaft, weil sie nach dem 0:3 zur Pause noch mal zurückgekommen war und ihr nach atemberaubender Aufholjagd fast doch noch der zum Weiterkommen nötige Siegtreffer gelungen wäre. Andererseits fehlte dazu am Ende eben doch ein Tor, so dass Liverpool nun im Uefa-Cup antreten muss. Finanzieller Verlust: rund 10 Millionen englische Pfund, wie der Guardian den Liverpoolern gestern hämisch vorrechnete.

Trotz des Ausscheidens feierten die 1.000 mitgereisten Fans ihre Mannschaft nach der zweiten Halbzeit. Verspielt hat die das Weiterkommen ohnehin nicht an diesem denkwürdigen Abend in Basel, sondern beim Remis im Hinspiel. Und so müssen die Liverpudlians weiter auf einen erneuten Erfolg in der Königsklasse des Fußballs warten, der letzte, damals noch im Cup der Landesmeister, liegt nun schon 18 Jahre zurück. Von diesem Abend erzählen die Väter in Liverpool ihren Söhnen noch heute.