Gedankenlos in der Grauzone geforscht

Der Professor, der Ulrike Meinhofs Hirn untersuchte, interessierte sich nicht für die ethischen Fragen seines Tuns

Jahrelang forschte er im Stillen an Hirnpräparaten, jetzt gerät seine Erkenntnissuche ins Licht der Öffentlichkeit: Professor Bernhard Bogerts, jener Wissenschaftler, auf dessen Seziertisch in Magdeburgs Uniklinik das Gehirn von Ulrike Meinhof liegt.

Mit der Neugier und Unbekümmertheit des Forschers betrachtete der Experte die Wucherungen eines Gehirns, die in hauchdünne Scheiben geschnitten sind. Dass dazu ein ganzer Kopf gehört, die Biografie einer bestimmten Person, ihre Angehörigen und ein wichtiger Teil jüngerer deutscher Geschichte, kam dem Arzt nicht in den Sinn. Erst als jemand „Sensation!“ schrie und fragte, ob die deutsche Linke einer Irren hinterhergelaufen sei, tat Bogerts das Selbstverständliche. Er informierte den Exmann und die Töchter Ulrike Meinhofs, dass er im Besitz ihres Hirns ist.

Nein, persönlich ist Bernhard Bogerts Dr. Frankenstein kein bisschen ähnlich. Ein aufmerksamer Mann von Mitte fünfzig, eine zurückhaltend auftretende Person, die genau zu erklären vermag, was in einem Kopf vorgeht. Das Gehirn des Menschen ist Bogerts’ großes Thema.

Mit 28 Jahren promoviert er in Düsseldorf zu plastischen Hirnveränderungen. Dann arbeitet der junge Doktor stets an Kliniken und Forschungsinstituten, die sich damit befassen, wie sich Hirne verändern. Seine Habilitation befasst sich damit, was die bis heute ursächlich kaum erklärbare Schizophrenie mit Hirnverformungen zu tun hat. Schizophrenie steht medizinisch für „Spaltungsirresein“ – das Nebeneinander von gesunden und veränderten Empfindungen.

Ein fatales Nebeneinander von Haltungen gibt es vielleicht auch bei dem Schizophrenie-Spezialisten. Denn Bogerts kennt natürlich die ethischen und juristischen Grundregeln ganz genau, die für seinen heiklen Job unabdingbar sind. Dennoch stellt er seinen Erkenntnisdrang über alles. Bogerts verwendete das Hirn einer Toten, als sei es bloßes Material. Er kümmerte sich allenfalls beiläufig um die juristischen und ethischen Grundlagen für seine Forschung.

Wenn man Bogerts fragt, ob er jenseits aller Regularien nicht eine moralische Verantwortung verspürte, die Angehörigen um Erlaubnis zu fragen, antwortet er – nichts. Das heißt, der Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin redet dann ganz viel. Aber ihm fällt nichts zur ethischen Frage seines Tuns ein.

Bernhard Bogerts ist in einer Disziplin zu Hause, die aus dem Nationalsozialismus ein Furcht erregendes Erbe mitbringt: die Neuropathologie. Es gab unethische Menschenversuche, hilflose Kranke wurden getötet, die Neuropathologen wählten Kranke nach bestimmten Merkmalen für die Exekution aus, um hinterher ihre Hirne untersuchen und konservieren zu können – für die Forschung. Ob er als Neuropathologe eine besondere Verantwortung verspüre, wird Bogerts gefragt. Da antwortet der Mann mit dem grau durchwirkten Bart: „Ich bin Facharzt für Psychiatrie.“

Der Fall Meinhof dürfte für Bogerts beendet sein, ehe er begonnen hat: Er hat seine Untersuchungen am Hirn nicht abschließen können, und auch die für seine Forschung unabdingbaren Verhaltensrecherchen bei jenen, die Ulrike Meinhof kannten, sind nun verbaut. Das Gehirn der Meinhof sollte, wie es die Töchter fordern, beerdigt werden. CHRISTIAN FÜLLER