EU-Kommissar ist mit Rot-Grün ganz zufrieden

Wenn der Koalitionsvertrag umgesetzt wird, droht Berlin kein weiterer Ärger aus Brüssel, sagt Defizitwächter Pedro Solbes

BRÜSSEL taz ■ Es war wie in der Schule. Finanzkommissar Pedro Solbes stellte sich gestern vor die Journalisten der Mitgliedsländer und verteilte Zeugnisse. Und obwohl die Noten schon Tage vorher durchgesickert waren, hingen alle an seinen Lippen. Warum Paris im Gegensatz zu Rom damit rechnen müsse, den „blauen Brief“ zu erhalten, wollte ein empörter französischer Journalist wissen. Solbes antwortete geduldig: Aufgrund der jeweiligen nationalen Stabilitätsprogramme sei zu erwarten, dass Frankreich 2003 die magische Schwelle überschreite und neue Kredite von mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehme, Italien aber nicht. Zwar stecke Rom tief in den roten Zahlen, doch das löse laut Definition des Stabilitätspakts nicht den Frühwarnmechanismus aus, an dessen Ende der berühmte Brief aus Brüssel stehen kann. Bedenkt man, dass Schuldirektor Romano Prodi im Oktober Noten und blaue Briefe insgesamt als überflüssig hatte erscheinen lassen, als er den Stabiltitäspakt „dumm“ nannte, war die Aufregung in Brüssel gestern beachtlich. Dem Direktor, so scheint es, wird in dieser Frage wenig Autorität zugetraut. Dem Oberschulamt aber schon. Diesen Part spielt der Rat der Finanzmininster, der in einer der nächsten Sitzungen – voraussichtlich Anfang Dezember – über den blauen Brief für Paris und das Verfahren bei exzessivem Defizit für Deutschland entscheiden muss.

Anfang des Jahres hätte das einstige Stabilitätswunderland Deutschland den Brief aus Brüssel am liebsten mit der Notiz „Empfänger unbekannt verzogen“ zurückgeschickt. Am Ende sorgten die Finanzminister, die die roten Zahlen im eigenen Budget nur zu gut kennen, für eine andere Lösung: Sie untersagten Solbes, ihn abzuschicken.

Wer den Spanier gestern erlebt hat, dem ist klar, dass er die Nerven nicht so leicht verliert. Ohne eine Spur von Häme erklärte er, die Entwicklung in Deutschland – 3,8 Prozent Defizit dieses Jahr – habe ihm Recht gegeben, dass die Frühwarnempfehlung angebracht war. Von der Bundesregierung sei aber in dem nun anlaufenden Defizitverfahren kein Ärger mehr zu erwarten. Bei seinem Besuch in Berlin hätten sich Finanzminister und Kanzler kooperationsbereit gezeigt. Der Koalitionsvertrag weise den richtigen Weg – „es kommt nun darauf an, ihn vollständig umzusetzen, um zu vermeiden, dass Deutschland die 3-Prozent-Schwelle im kommenden Jahr noch einmal verletzt“.

Ein gutes Zeugnis stellte Solbes den Kandidatenländern aus. Dank starker Inlandsnachfrage und steigender Exporte erweise sich die dortige Wirtschaft als widerstandsfähig gegenüber der allgemeinen Rezession. Das Wachstum werde 2002 fast 3 Prozent erreichen und könne nächstes Jahr bis auf 4 Prozent steigen. Demgegenüber werden der alten EU lediglich 1,8 Prozent für 2003 vorausgesagt.

Auf den Euro wirft die Herbstprognose der EU-Kommission ein schlechtes Licht. Während in der Zone der Gemeinschaftswährung das Defizit in diesem Jahr 2,3 Prozent betragen wird, liegt es in der Gesamtunion deutlich niedriger, bei 1,9 Prozent. Mit anderen Worten: In Großbritannien, Schweden und Dänemark ist die Währung deutlich härter als im Euroraum. Gut möglich, dass die schmerzhafte Aussprache über Mahnbriefe so auf den Finanzministerrat im Januar vertagt wird. Dann löst Griechenland Dänemark als Ratsvorsitzenden ab. Da darf etwas mehr Verständnis fürs Schuldenmachen vorausgesetzt werden. DANIELA WEINGÄRTNER