Deutschland schongenug gestraft

Die EU hat gestern ein Strafverfahren gegen Deutschland eingeleitet – wegen zu hoher Verschuldung. Milliardenstrafe wird wohl nicht verhängt. Doch auch ohne diese fehlt viel Geld

BERLIN taz ■ Die gute Nachricht vorab, es gab gestern schließlich nur eine. Deutschland dürfte eine Geldstrafe aus Brüssel erspart bleiben, obwohl die Bundesregierung gestern ihr lang erwartetes Geständnis ablegte – die Verschuldung öffentlicher Haushalte liegt in diesem Jahr weit jenseits des Maastricht-Kriteriums von 3,0 Prozent. Die EU-Kommission hat deshalb gestern zwar ein Strafverfahren eingeleitet. Um die Buße in Milliardenhöhe kommt Deutschland aber wohl herum, denn vorerst glaubt EU-Kommissar Pedro Solbes den Sündern von Berlin, dass sie sich bessern wollen.

Die Liste schlechter Nachrichten bot für diesen Optimismus wenig Anlass: Der Arbeitskreis Steuerschätzung rechnet für das laufende Jahr mit Ausfällen von 15,4 Milliarden Euro sowie weiteren 22 Milliarden im kommenden Jahr. Das ebenfalls gestern veröffentlichte Jahresgutachten der fünf Wirtschaftsweisen urteilt in brutaler Härte: Die öffentlichen Haushalte seien „aus dem Ruder gelaufen“, die rot-grünen Koalitionsvereinbarungen seien „der falsche Weg“. Die Experten blicken äußerst pessimistisch auf die deutsche Konjunktur und erwarten gerade mal 0,2 Prozent Wachstum in diesem und 1,0 Prozent im nächsten Jahr. Zudem rechnen sie mit einem Überschreiten der Defizitgrenze auch 2003 und mit mehr Arbeitslosigkeit.

Die EU-Kommission geht für dieses Jahr von einem deutschen Defizit von 3,8 Prozent aus und befürchtet immer noch 3,1 Prozent im kommenden Jahr. Da ist es für die Bundesregierung nur ein schwacher Trost, dass sie in der Misere nicht allein ist: Frankreich muss mit einem blauen Brief aus Brüssel rechnen, weil sein Defizit an die 3-Prozent-Marke rückt.

Ungeachtet der düsteren Prognosen verteidigte Finanzminister Hans Eichel gestern sein Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis 2006. Zugleich stellte er eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest. Damit begründet der Minister die verfassungswidrige Überschreitung der Neuverschuldung des Bundes über die Investitionen im laufenden Haushalt. In der nächsten Woche will Eichel dem Kabinett einen Nachtragshaushalt für 2002 vorlegen. Ausdrücklich kritisierte er die unionsgeführten Bundesländer, bisher nicht genügend zu einer Begrenzung der öffentlichen Ausgaben beigetragen zu haben.

Wie finster die Stimmung im Regierungslager tatsächlich ist, zeigen eher Randbemerkungen. So fallen Koalitionspolitikern auf Fragen nach der Zukunft inzwischen bevorzugt apokalyptische Wendungen ein. „Wenn wir von 2003 bis 2006 Irakkrieg haben, haben wir eine andere Welt“, verkündete Eichel gestern. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering war vor kurzem auf ein noch finaleres Szenario verfallen: „Wenn der Himmel einstürzt, sind alle Spatzen tot.“

PATRIK SCHWARZ

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