Wie ein verlorener Krieger

Der Tänzer und Choreograph Kim Itoh gastiert mit seiner Compagnie The Glorious Future auf Kampnagel: In „I Want to Hold You“ dreht sich alles um ihn – und um Einsamkeit

von MARGA WOLFF

Mitunter fragt man sich, warum manche Choreographen mit einer Compagnie arbeiten, obwohl sie als Tänzer allein doch ein viel überzeugenderes Bild auf die Bühne bringen, das auch wissen und dazu weidlich ausnutzen. Ein Stück Eitelkeit spielt sicher eine Rolle. Oder eben der Versuch zwei Welten, zwei Generationen gegeneinander zu stellen. Ein Experiment, das hier allerdings nur bedingt gelungen ist. Es dauert also erstmal seine Zeit, bis der japanische Choreograph und Tänzer Kim Itoh in I Want to Hold You für seine Tänzer die Bühne freigibt.

Mehr als eine halbe Stunde gehört ihm in diesem Stück über die Einsamkeit der Raum allein. Ein Wanderer zwischen den Welten, der in seiner khakifarbenen Kleidung an einen verlorenen Krieger erinnert. Mit kahlgeschorenem Schädel und einer schwarzen Augenklappe, die er trägt, seit er als Kind bei einem Unfall das rechte Auge verlor.

Das heißt, nicht ganz allein tanzt Itoh dieses Solo. Sein Partner ist das Licht. Elegant hechtet der Tänzer unter einen der dicht über dem Boden hängenden Spots. Im abgedimmten gelben Schein treten die Konturen seines Körpers malerisch hervor. Das Licht scheint die Glieder zu streicheln. Er badet darin, umschließt mit den Armen den Lichtfleck wie ein Verdurstender in der Wüste eine imaginäre Pfütze, während vom Band mit hypnotischem Geräusch Wasser rauscht. Unendlich langsam entfaltet sich ein Arm als wachse dem Tänzer ein Flügel. Doch bevor sich Itoh in die Höhe schwingt, rollt er sich erstmal wieder blitzschnell zusammen, bleibt geraume Zeit erschlafft liegen.

Als Kind des Butoh hat sich Itoh vor einigen Jahren noch bezeichnet. 1996 gastierte er mit einem kurzen Stück, für das er gerade den renommierten choreographischen Wettbewerb von Bagnolet gewonnen hatte, auf Kampnagel. Die Konzentration und die Dehnung der Zeit hat er sich bewahrt. Ansonsten hat sein Tanz sich vom Butoh verabschiedet, sich einerseits im Vokabular dem globalen Mainstream im zeitgenössischen Tanz deutlich angepasst, sich anderseits aber in der Artikulation verfeinert, wie sein derzeitiges Gastspiel auf Kampnagel mit seiner Compagnie The Glorious Future bezeugt. In fortwährenden Wiederholungen kostet er die Bewegungssequenzen aus und erzählt doch mit jedem Mal eine neue Geschichte.

Unwillkürlich wird man bei Itoh an dessen älteren Kollegen und Saburo Teshigawara erinnert. Allerdings wirkt Itoh in seiner Präsenz zäher und robuster, grenzt seinen Tanz jedoch ebenso wie Teshigawara strikt von dem seiner Compagnie ab. Zwei Bühnenarbeiter tragen schließlich die acht Tänzer herein. Steif wie ein Brett sind die Körper, die unter den Lichtspots abgelegt erstmal Energie auftanken. Ein Netz von Lichtlinien baut Verbindungen zwischen ihnen, die Itoh unsicher abschreitet. Mit dem Einsatz der Techno-Musik verlässt er die Bühne. Das blutjunge Tanzvolk in farbiger Kleidung zappelt mechanisch, krabbelt wie Hündchen auf allen Vieren. Gleichwohl ihre Bewegungen mit der Zeit menschlichere Züge annehmen, bleibt ihr Ausdruck ungewöhnlich leer und banal, wirken die Wiederholungen hier nur redundant. Vier Frauen und vier Männer, beziehungsweise eher Mädchen und Jungen, sind es. Und wie so oft geht es darum, dass die Paare sich finden, dass das unaufhörliche Anspringen und Wegstoßen und die Umarmungen der Leere zu einem erfüllten, harmonischen Ende kommen.

Dann tritt Itoh wieder zu ihnen auf die Bühne. Er fällt, vielmehr schwebt wie mit verminderter Schwerkraft angezogen zu Boden und steht gleich wieder auf den Füßen. Zwei Universen von unterschiedlicher Physikalität und somit Imagination reiben sich in diesem Finale aneinander. Und während die anderen ihren Partner halten, umschließt er erneut die Strahlen des Lichts.

noch Fr + Sa, 20 Uhr, Kampnagel