Trippelnde Fettleibigkeit

Angriff aus der Metaebene: Das „Teatr Cinema“ traktierte das „Input“-Publikum mit Bananenstummeln und Plüschpenissen. Aber Gottfried Benn war zufrieden

Verzweiflung macht sich breit. Nebenan schabt sich einer sinnierend in borstigen Bartstoppeln

Seit ungefähr 20 Minutenh staksen sie zu atmosphärisch-atonalen Klängen auf der Bühne herum. Wie Zombies, Marionetten gleich, und sagen kein Wort. Ein gepuderter Glatzkopf schließt die Gittertür, öffnet sie wieder. Er setzt sich, schreckt zusammen, steht auf, setzt sich woanders hin. Ich sacke auf dem Stuhl zusammen, Theater aus Absurdistan ist das, und der Wunsch nach etwas Klarheit, der aufleuchtenden Glühbirne der Erkenntnis, nimmt langsam Gestalt an.

„Die Flöte Rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.“ Gottfried Benn („Nachtcafé“) hätte sich wohl mitreißen lassen von dem, was das polnische „Teatr Cinema“ im Jungen Theater veranstaltete. Absurd, abstrakt und surreal war das. Sonst nix. „Grüne Zähne, Pickel im Gesicht winkt einer Lidrandentzündung.“ Man bemüht sich ja, rutscht mit dem Hintern ganz vorn auf die Stuhlkante, lugt zwischen zwei Zuschauerköpfen, um ja nicht zu verpassen, wie sie da vorne mechanisch von den Stühlen kippen, wieder aufstehen und sich dann durch den Raum jagen (trippelnd). Verzweiflung macht sich breit. Nebenan schabt sich einer in borstigen Bartstoppeln, sinnierend. Die ersten Worte flocken aus dem Mund einer Schauspielerin, leider kann ich kein polnisch.

„Bilard“ heißt das Stück, das die Polen aus dem Riesengebirge im Rahmen des „Input“-Theaterfestivals zeigten. Sie nennen ihre Aufführungen „eine Revolte der Phantasie gegen die Routine der Realität.“ Ich möchte den Menschen mit dieser abtrünnigen Imagination gerne kennen lernen. Denjenigen, der Menschen mit übergroßen Plüschpenisen auf dem Kopf auf die Bühne schickt. Der Schauspieler mit zwei Bananenstummeln im Mundwinkel durch einen Staubsaugerschlauchrüssel tröten lässt.

„Fett im Haar Spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel Glaube Liebe Hoffnung um den Hals.“ Dabei steckt schon irgendeine Absicht dahinter: ein Billardraum mit Kneipenbestuhlung, in dem Menschen stecken, die sich erinnern, woran auch immer. An Plüschpeniskostüme wohl.

Auf der Bühne umkreist jetzt eine Frau unaufhörlich den gepuderten Glatzkopf. In der Szene zuvor hatte er sich Zellstofftücher in Ohren- und Nasenöffnungen gestopft. Jetzt balanciert er ein Brett auf dem Kopf. Die umkreisende Frau klopft nach jeder Runde einmal dagegen.

Vor mir trägt eine Dame einen dicken Rollkragenstrickpulli. Ist das nicht zu warm? Sicherlich schwitzt sie. Immer noch umrundet die kleine Frau im schwarzen Kleid hektisch den Brettbalanceur. Kurz keimt der Verdacht, dass hinter dem Zipfel des schwarzen Vorhangs da oben links eine kleine Kameralinse hervorlugt, versteckt. Blödsinn. „Es ist nur eine süße Vorwölbung der Luft gegen mein Gehirn.“ Einer knüpft einen Bikini aus Anzugteilen. Harter Tobak, die Stirn schmerzt vom Runzeln und Grübeln. Aufgebendes Ausatmen meinerseits. Dann ist es zu Ende, polnische Fans jubeln, ich verlasse den Raum. „Eine Fettleibigkeit trippelt hinterher.“

Susanne Polig