zwischen den rillen
: Abgründe des Adult Pop: Nachdenken über Phil C.

Zeugnis ablegen

Anstelle einer Besprechung: Ein Gespräch mit Patrick Bateman über Phil Collins.

Es ist ruhig geworden um Phil Collins (Schlagzeuger, Ex-Genesis) und Patrick Bateman (Romanfigur, „American Psycho“), zwei der großen Popstars der Neunziger. Beide haben sich inzwischen in die Schweiz zurückgezogen, wo sie, in beinahe in Nachbarschaft, ein „durch und durch diskretes Leben“ (Bateman) führen. Zur Veröffentlichung von „Testify“, dem neuen Album von Phil Collins, erklärte sich der medienscheue Bateman erstmals zu einem Interview „ausschließlich über Popmusik“ bereit. Das Gespräch erfolgt unter so konspirativen Umständen, dass man es fast fiktiv nennen könnte. (Bateman trägt einen Anzug von Hedi Slimane, Schuhe von Prada und einen Schal von Hermès.)

Mr. Bateman, Ihr Auftritt in dem Roman „American Psycho“ von Bret Easton Ellis hat Sie seinerzeit nicht nur als gefürchteten Serienkiller, sondern auch als profunden Kenner der Popmusik berühmt gemacht. Damals äußerten Sie sich nicht nur fachkundig zur Musik von Whitney Houston, Huey Lewis oder Bono …

Patrick Bateman: Das Diabolische in dem so genannten „Gutmenschen“ Bono, zumal dem kommerziell gewordenen Bono, verstört mich heute noch. Wissen Sie, das Gute ist eine Idee des Bösen.

sondern auch geradezu emphatisch über Phil Collins und dessen Band Genesis. Als wir jetzt bei Ihrem Agenten für ein Gespräch über das neue Phil-Collins-Album anfragten, sagten Sie sofort begeistert zu.

(Konzentriert) Absolut!

Es heißt, Sie wären jetzt praktisch Nachbarn?!

(Lacht) Ja, er wohnt gewissermaßen die Straße runter. Seine Villa ist bloß ein kleines bisschen kleiner, actually. Aber Sie werden verstehen, dass ich dazu keine weiteren Angaben machen kann.

Selbstverständlich. Haben Sie denn schon eine Chance gehabt, in das neue Album von Mr. Collins hineinzuhören?

Ehrlich gesagt, hat mir die Gestaltung des Covers zunächst Sorgen gemacht. Phil guckt auf dem Foto ja so verkniffen wie Hannibal Lecter, wenn Sie mir den kleinen Vergleich erlauben. Da hatte ich schon Angst, das ganze Album könnte so werden: Geprägt von dieser unterschwelligen Aggressivität, die Collins früher ja ausgemacht hat. Ich denke da an Songs wie „In the Air Tonight“, „Mama“ oder „No Son Of Mine“, die ja alle diese Bedrohlichkeit, diese latente Gewalttätigkeit – ich möchte fast sagen: – lebten. Über diese Qualität verfügten ja auch andere großartige Songwriter, das vergisst man heute oft. Beispielsweise Billy Joel oder der frühe Sting. Und das war damals natürlich absolut großartig …

Und weswegen hatten Sie da Befürchtungen? Vermissen Sie nicht gerade den dynamischen, ambivalenten Collins von früher? Das neue Album ist doch wieder einmal enttäuschend seicht ausgefallen …

(Kategorisch) Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen da widersprechen muss. Natürlich ist „Testify“ – entgegen meinen ersten Befürchtungen, Gott sei Dank! – ein stilles, kontemplatives Album geworden. Denn Sie dürfen vor allem eines nicht vergessen: Es sind andere Zeiten heute. Radikal andere!

Nach dem 11. September brauchen wir diesen ganzen dunklen Psychomist nicht mehr, all diese selbst ernannten Künstlerindividuen im Kampf mit der Welt und sich selbst! Das ist so Nineties. Ich meine: Kurt Cobain – geht es denn nicht auch drei Nummern kleiner?!

Nein, jetzt geht es darum, dass jeder seinen Teil zur Befriedung dieser Welt, in der wir alle gemeinsam leben, beiträgt. Und das ist Phil Collins nun schon zum zweiten Mal, nach dem wunderbar positiven, leichtfüßigen Album „Dance Into the Light“, meisterhaft gelungen.

Sie sprechen den 11. September an. In Phil Collins’ neuem Song „Don’t get me started“ heißt es: „Don’t get me started on blood and thunder / with people flying blind / Not caring what or who they take with them / Or what they leave behind …“

Ein wunderbares Zitat! Collins gelingt es wieder mal, in wenigen Worten die einfachen, zu Herzen gehenden Wahrheiten in diesen komplizierten Zeiten auszusprechen. Auch musikalisch einer der besten Songs auf einem durchweg gelungenen, von Rob Cavallo im Übrigen perfekt produzierten Album!

Sie würden also jenen Kritikern widersprechen, die Collins vorhalten, nur ein weiteres Mal kommerziell einträglichen Format-Radio-Pop auf dem Niveau von Céline Dion und Enya abzuliefern?

(Mit energischem Kopfschütteln) Aber das ist doch lächerlich. Wir reden hier schließlich von Adult Pop. Ich jedenfalls kann mich nur verbeugen vor Phils Würde und Reife: Einfach nur zu sagen, „Ja ich bezeuge – I want to testify! – ich liebe dich noch immer, ich bin immer noch für dich da“. Das Ganze unterlegt mit den zuverlässig starken Bassläufen von Paul Bushnell. Und ich sage Ihnen noch das eine: Dieses Album muss man laut hören, damit es sich einem in all seinen Nuancen erschließt!

Sie scheinen sich ja stark verändert zu haben, seitdem Sie New York verlassen haben und in die Schweiz gezogen sind.

(Mit ernsthaftem Nicken) Es ist ein anderes Leben. Ich habe der Hektik des Börsenmarkts den Rücken gekehrt und engagiere mich heute in vielen Bereichen, auch humanitär. Aber das soll nicht Thema dieses Gesprächs sein.

Wenn Sie mir dennoch eine letzte private Frage gestatten: Es interessiert unsere Leser natürlich brennend, wie Sie hier Ihre Tage verbringen?

Nun, unspektakulär. Ich werde gleich noch ein paar Stunden ins Fitnessstudio gehen – auf dem Discman höre ich dabei übrigens „Wake up Call“ – der Opener des Albums ist mein Geheimtipp für den Bein-Curler. Dann werde ich mir ein paar neue Videos ausleihen. Und ich darf auf keinen Fall vergessen, meine schmutzige Wäsche zur Reinigung zu bringen.

ANDREAS MERKEL

Phil Collins: „Testify“ (WEA)