Kirche in Calais gestürmt

Französische Polizei beendet Besetzeraktion von 90 Flüchtlingen. Die sollen jetzt in Frankreich einen Asylantrag stellen, wollen aber eigentlich weiter nach Großbritannien

PARIS taz ■ Ohne nennenswerte Zwischenfälle räumte die Polizei gestern um 5 Uhr früh die von 80 irakischen Kurden und 10 Afghanen besetzte Kirche Saint-Pierre-Saint-Paul in Calais. Sie sollen nun einen Asylantrag in Frankreich stellen und ihr Vorhaben, um jeden Preis nach Großbritannien zu gelangen, aufgeben.

Die Behörden im nordfranzösischen Calais sind erleichtert. Bei der Räumung kam es nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Flüchtlingen. Noch am Mittwoch hatte einer ihrer Sprecher, ein irakischer Kurde namens Hakam, gedroht, im Falle einer Räumung würden die Kirchenbesetzer „kämpfen oder sich töten“. Ihre Forderung hatten sie auf einen großen Karton geschrieben: „We want Sangatte or die!“ („Wir wollen nach Sangatte oder sterben!“).

Als die Beamten der Ordnungspolizei CRS die Kirche stürmten, leisteten die Flüchtlinge keinen Widerstand. Nach Auskunft des Pfarrers, Abbé Jean-Pierre Boutoille, ließen sie sich zu einer Vernehmung in mehrere Polizeikommissariate der Region abführen. Anschließend wurden sie in kleinen Gruppen in Heimen für Asylbewerber untergebracht. Sie können nun in Frankreich einen Asylantrag stellen.

Eine Garantie auf einen positiven Entscheid aber kann und will ihnen niemand geben. Die Prozedur des zuständigen Amts (Ofpra) dauert in der Regel mehrere Jahre, und nur rund einem Fünftel der Gesuche wird entsprochen. Während der Wartezeit haben die Flüchtlinge nicht das Recht zu arbeiten. Ihnen bleibt dann meisten nichts anderes übrig, als sich auf dem schwarzen Markt als Hilfskräfte ohne Papiere und ohne Sozialversicherung zu verdingen.

Dies wissen auch die meisten der jungen Männer aus dem Mittleren Osten, die in Calais gestrandet sind und immer noch nach Großbritannien weiterreisen wollen. Dort sind ihrer Ansicht nach, trotz der kürzlichen Verschärfung der Flüchtlingspolitik, die Aufnahmebedingungen weiter günstiger als in Frankreich und anderen EU-Staaten auf dem Festland.

Von der vorzeitigen Schließung des Lagers von Sangatte bei Calais hatten sie nichts gewusst. Wie 60.000 andere Flüchtlinge vor ihnen in den vergangenen drei Jahren wollten sie in diesem ehemaligen Industriehangar unweit des Eurotunnel-Terminals Station machen, bis ihnen, versteckt in einem Zug oder einem Lkw, die Überquerung des Ärmelkanals gelingen würde. Doch auf britischen Druck hin lässt das französische Rote Kreuz seit 10 Tagen keine neuen Bewerber ins Lager von Sangatte, das im nächsten Frühjahr definitiv geschlossen wird.

Mit Sangatte sollte nach Meinung von Innenminister Nicolas Sarkozy auch das Flüchtlingsproblem am Ärmelkanal verschwinden. Wie zu erwarten, stehen nun die Asylsuchenden auf der Straße. Wegen dieser „Improvisation in der Flüchtlingspolitik“ irren zurzeit rund 500 in der Gegend umher, schätzt Jacky Hénin, der kommunistische Bürgermeister von Calais. Sarkozy dagegen äußerte sich sehr ungehalten über die „Verantwortungslosen unter den Hilfsorganisationen“, welche die Flüchtlinge zu ihren Besetzungsaktionen ermuntert hätten. RUDOLF BALMER