„Ist sie die Richtige?“

Mildes Urteil gegen Mutter, die ihren Säugling zu Tode schüttelte. Gericht äußerte trotz Urteil Zweifel ihrer Schuld

Jessica L., die 24-jährige Frau, die zugibt, ihr siebeneinhalb Monate altes Baby Pascal geschüttelt und so seinen Tod verursacht zu haben, wurde gestern vor dem Landgericht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Eine Bewährungshelferin soll darauf achten, dass die Verurteilte sich regelmäßig psychotherapeutisch behandeln lässt. „Ist in Ordnung“, kommentierte die zarte Frau das Urteil mit gesenktem Kopf. Der Verlauf und das Ende dieses bewegenden Prozesses lassen allerdings manchen Sachverhalt als ganz und gar nicht in Ordnung erscheinen.

Und das liegt vor allem am Vater des Kindes, dem Lebensgefährten von Frau L. Der 30-jährige B. wurde von Zeugen als dominanter und, zumindest in alkoholisiertem Zustand, brutaler Mensch beschrieben. Er habe sein Kind „geworfen“, seine Freundin Jessica geschlagen. Bei der Urteilsverkündung war er nicht anwesend. Richter Harald Schmacke wurde deutlich: „Man kann meinen, dass Herr B. das Kind getötet hat.“ Letztlich aber habe die Angeklagte die Schuld auf sich genommen.

Das psychiatrische Gutachten attestiert Frau L. eine schwere Persönlichkeitsstörung, ausgelöst durch ihre Lebensgeschichte, die sie immer wieder in Abhängigkeit zu Männern gebracht hat. Von ihrem Vater wurde sie als Jugendliche sexuell missbraucht. Sie sei imstande, Verantwortung für etwas zu übernehmen, was sie nicht getan hat, zitierte auch ihre Verteidigerin aus dem Gutachten und stellte die Frage, die auch andere bewegte: „Haben wir hier die richtige Person sitzen?“ Die Unschuldsvermutung veranlasste sie, auf einen Freispruch zu plädieren. Das Gericht entsprach dem nicht – es hätte sonst nicht auf einer therapeutischen Behandlung bestehen können.

„Wenn man an das Kind und seinen sinnlosen Tod denkt, kann man sehr böse werden“, wog Richter Schmacke eine Seite des Geschehens. „Wenn man sich aber die Lebensumstände anhört, dann sieht das wieder ganz anders aus.“

Der kleine Pascal war im Oktober vergangenen Jahres in die Kinderklinik eingeliefert worden, nachdem die Eltern die Notärzte alarmiert hatten. Entgegen der Version der Eltern, das Kind sei aus einer Wippe gefallen, stellten die Mediziner typische Symptome eines Schütteltraumas fest. Wenige Stunden später trat bei dem Säugling der Hirntod ein. Elke Heyduck