Big brother makes coffee for you

Eine Reklamerezension: Cappuccino zum Downloaden? Viel fehlt dafür nicht mehr. Der gute, alte Kaffee heißt heute gar nicht mehr so, sondern hat diverse neue Namen. Auch zu Hause heißt es nun: Aufschneiden mit dem Aufschäumen!

von MARTIN KALUZA

Neulich erst sorgte ein achtseitiger Prospekt für einiges Stirnrunzeln, der aus einer namhaften Zeitung gefallen war. Hinter der Einlage steckte Jura, ein Schweizer Hersteller von Edel-Kaffeemaschinen, der vorsichtshalber seine Preise erst mal unerwähnt lässt. „Endlich!“ stand da, und gemeint war: „Jura stellt den ersten Espresso-/Kaffeevollautomaten mit Touchscreen und Internet Connectivity für den Hausgebrauch vor.“ Impressa F 90 heißt das Gerät, ist mit drei Millimeter dickem Aluminium verkleidet, kann Kaffee vor dem Brühen mahlen, Milch ansaugen und aufschäumen. Von „Aroma Select“ steht da was, von „neun Kaffeevariationen mit je zwei Aroma-Ebenen und Temperatur-Stufen“ und „Pre Brew Aroma System.“ Ein leichtes Schwindelgefühl erfasst uns. 36 Kaffeevariationen, interaktive CD-ROM im Lieferumfang enthalten, Online-Hilfe bei Fragen und Unklarheiten. Wir suchen am Küchentisch Halt – wie konnte es so weit kommen? Wir suchen in den Nebeln der Erinnerung.

Es ist schon ein paar Jahre her. Vor einer Kneipe um die Ecke, aus der einem schon so gegen elf Uhr vormittags ein gefährlicher Bierdunst entgegenschlug, stolperten die Passanten gelegentlich über eine dieser Angebotstafeln. Unter der schnörkelig-geschwungenen Golddruck-Überschrift „Der Küchenchef empfiehlt heute“ stand in ehrlichen Kreidelettern: „Tasse Kaffee, 1,– DM.“ Das war, bevor die Coffee-Shops der Einstein-Kette ihren Siegeszug durch die Stadt angetreten hatten, und jetzt, wo die Einstein-Coffee-Shops wieder verschwinden, gibt es die Kneipe immer noch. Allerdings hat sie die Strategie geändert und wirbt jetzt nicht mehr mit ihrem Kaffee, sondern mit Schnitzel.

Es war ein schleichender Prozess. Während wir in Internetaktien investierten, geriet die schlichte Tasse Kaffee im Schankgewerbe praktisch unbemerkt ins Abseits. Ihre Verdrängung begann mit dem Milchkaffee, und seine Epigonen waren so zahlreich wie unbuchstabierbar. Ein sprödes „Draußen gibt’s nur Kännchen“ haben wir lange nicht mehr gehört.

Als die Aktien etwas billiger wurden, war nicht mehr so viel Geld da, um es in Cafés zu verschleudern. Wir stellten uns selbst in die Küche und versuchten, die modischen Kaffeespezialitäten nachzukochen. Espresso aus der neu angeschafften Maschine, dazu ein wenig heiße Milch mit Schaum, so gut es geht. Bisschen Kakao draufstreuseln oder vielleicht sogar Zimt – fertig ist die Kiste. In der Kaffeebar würde so was locker 3 Euro kosten. Nur wie heißt das Teil jetzt? Ist das nun ein Caffè Latte oder schon ein Café con leche? (Oder heißt es Café latte und Caffè con leche?) Latte Macchiato, so viel hat man schon mal gehört, soll obendrauf eine Milchschaumhaube haben, aber wenn die mal etwas dünner ausfällt, wird aus dem Pott dann gleich ein Latte? Wir dürfen davon ausgehen, dass irgendeine EU-Kommission an einer Norm für „Kaffeeverschnittgetränke unter Beigabe von Milch und milchähnlichen Produkten“ arbeitet. Oder noch wahrscheinlicher: Sie hat es bereits getan, und wir erleben gerade die Folgen.

Nun also eine Kaffeemaschine mit Sensitive Touchscreen Technology (laut Hersteller „das wohl fortschrittlichste Mensch-Kaffeemaschine-Interface“ – ein weniger modernes Interface hieß früher „Einschaltknopf“) und Internet Connectivity. Die Internet-Verbindung ist übrigens nicht dazu gedacht, die Maschine aus der Ferne zu bedienen – also dass man sie zum Beispiel vom Büro aus oder per WAP-Handy einschalten könnte, um pünktlich zum Betreten der Wohnung einen frisch gebrühten Cappuccino zu haben. Schade das. Mit der Connectivity-Funktion lassen sich vielmehr, sagt der Hersteller, „die Parameter für weitere Kaffeespezialitäten aus dem Internet herunterladen und mittels der Memory Box direkt in der Elektronik der Maschine speichern“.

Das klingt unheimlich. Ist die Kiste überhaupt virensicher? Können Script-Kids die Einstellungen verändern und mir einen Doppio ristretto schicken, wenn ich eigentlich einen Cappuccino chiaro haben will? Wieso reicht die Elektronik der Maschine nicht aus, um von vornherein ein paar weitere Parameter zu speichern? Steckt in der Maschine womöglich ein Betriebssystem, das – wie Microsoft XP – vom Besitzer unbemerkt Kontakt mit der Herstellerfirma aufnehmen kann, wann immer das Gerät am Netz ist? Kann sie damit detaillierte Trinkerprofile erstellen? Und kann man eigentlich Kaffee überhaupt noch trinken oder oder heißt es jetzt Kaffee usen? Gehen Sie mal zu Ihrem Fachhändler und fragen ihn das.

Die Jura Impressa F 90 kostet zwischen 1.000,– und 1.150,– € (offline). Mehr Infos: www.juraworld.de