Kulturaustausch oder völkische Romanze?

Das Goethe-Institut nimmt in Kabul seine Arbeit wieder auf. Die wichtigste Aufgabe ist zunächst, afghanische Polizisten zu unterrichten. Die deutsche Sprache ist derzeit in dem vom Krieg zerstörten Land sehr beliebt. Schließlich gehörten beide Völker zu den „Ariern“, erklären die Teilnehmer der Kurse

„Schließlich gehören die Deutschen und die Afghanen ja zum selben Volksstamm“

von PETER BÖHM

Eigentlich wollte Renate Elsässer nur einen Termin mit der Druckerei ausmachen, bei der sie demnächst einige Kinderbücher drucken lassen wird. Und da passiert, was fast immer passiert, wenn die Leiterin des neuen Goethe-Institutes irgendwo hingeht in Kabul. Der Druckereibesitzer Fazel Haq fragt sie, ob man denn bei ihr nun schon wieder Deutsch lernen kann. Vor dreißig Jahren habe er diese Sprache in der Schule gelernt, aber nun hat er fast alles wieder vergessen, und Deutsch sei doch eine so wichtige Sprache.

Warum will er denn nicht Englisch lernen? „Ich hasse Englisch.“ Hasst er vielleicht auch Großbritannien und die USA? „Diese Frage will ich nicht beantworten“, sagt er schüchtern. Aber keine Antwort ist manchmal eben auch eine Antwort.

Seit Ende September hat Afghanistan wieder ein Goethe-Institut. Auch wenn fast alles an ihm noch Provisorium ist, ist diese Tatsache doch das lauteste Zeichen für die Liebesbeziehung, die sich da angebahnt hat in den letzten Monaten zwischen Afghanistan und Deutschland.

So schnell hat noch nie ein Goethe-Institut in einem Land wiedereröffnet nach einem Bürgerkrieg. Und wenn man wissen will, an welchem Fleck der deutsche Außenminister in diesen Zeiten der leeren Kassen seinen Geldbeutel hat, muss man das Budget des Kabuler Instituts mit anderen vergleichen. In den Instituten in Bosnien und Vietnam zum Beispiel hatte Renate Elsässer einen jährlichen Etat von weniger als 25.000 Euro zur Verfügung. In Afghanistan sind es in diesem und werden es im nächsten Jahr jeweils eine Million Euro sein.

Das ist auch sinnvoll. Bis zum kommunistischen Staatsstreich war Afghanistan stets ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Im Armani-Gymnasium, in dem selbst naturwissenschaftliche Fächer in Deutsch unterrichtet wurden, genoss bis zum Bürgerkrieg ein großer Teil der afghanischen Eliten ihre Ausbildung.

Aber es sind nicht immer die richtigen Gründe, die diese deutsch-afghanische Romanze so erblühen ließen. Denn wenn man fragt, warum Deutschland und die Deutschen so beliebt sind in Afghanistan, dann kann man sich wundern. „Im Gegensatz zu Großbritannien und den USA standen beim deutschen Engagement in Afghanistan nie politische Interessen im Vordergrund“, sagt Walid Said stellvertretend für viele.

Der 35-Jährige hat in der DDR studiert, arbeitet jetzt im Kabuler Büro der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau und besucht einen der ersten Deutschkurse des Goethe-Instituts. „Außerdem gelten die Deutschen als sehr zuverlässig“, fährt er fort. Und natürlich vergisst er auch nicht zu erwähnen, was die wenigsten Afghanen vergessen, sobald man sich als Deutscher zu erkennen gegeben hat. „Denn schließlich gehören die Deutschen und die Afghanen ja zum selben Volksstamm. Wir sind beide Arier.“ Ach so!

„Beim deutschen Engagement standen politische Interessen nie im Vordergrund“

Auf der anderen Seite ist wohl auch noch nicht ganz klar, auf welchen Partner sich Deutschland da eingelassen hat. Der offizielle Name Afghanistans, den die neue Regierung dem Land nach der Loya Dschirga im Juni gab, lautet „Islamischer Übergangsstaat“. Und erst kürzlich hat der Oberste Afghanische Gerichtshof eine Richterin entlassen, weil sie sich bei einem Seminarbesuch in den USA während eines Treffens mit Präsident Bush ohne Kopftuch fotografieren ließ. Ach so!

Renate Elsässer kündigt auf jeden Fall an, dass in den Sprachkursen ihres Institutes wie in der Universität von Kabul auch Männer und Frauen zusammen lernen werden. Sie geht auch davon aus, dass die Frauen innerhalb der Räume ihre Burka abnehmen. Und so läuft das deutsche Engagement in Afghanistan eben auf Hochtouren. Das Armani-Gymnasium, das der reformorientierte König Amanullah 1924 gründen ließ, wird seit ein paar Wochen mit deutschen Geldern aufwendig renoviert. In seiner Blütezeit in den Siebzigerjahren unterrichteten hier mehr als 20 deutsche Lehrer. Wenn die bürokratischen Hürden umgangen sind, wird auch bald mit den Bauarbeiten an einem Mädchengymnasium in Kabul begonnen werden, in dem ebenso wie im Armani-Gymnasium Deutsch unterrichtet wird. Jetzt beginnen erst mal die ersten Sprachkurse für die afghanische Polizisten, die von deutscher Seite ausgebildet werden. Alle 1.400 wurden gefragt, ob sie lieber Deutsch oder Englisch lernen wollen. Ergebnis: 1.400 zu 0. Und natürlich widmet sich das neue Goethe-Institut auch seiner neben den Sprachkursen zweiten großen Aufgabe, dem Kulturaustausch.

Was die Sprachkurse für das große Publikum anbetrifft, musste Renate Elsässer Druckereibesitzer Haq sagen, dass er sich vor Beginn des nächsten Jahres keine Hoffnung zu machen braucht. Das Goethe-Institut hat noch keine eigenen Räume. Die Leiterin selbst sitzt noch in einem kargen Büro in der obersten Etage der deutschen Botschaft. Doch mit etwas Glück wird sie vielleicht bald in ein Gebäude der ehemaligen DDR-Botschaft einziehen. So lange müssen die „Multiplikatoren“, eine Hand voll Mitarbeiter von deutschen Entwicklungshilfeorganisationen und die Deutschlehrer am Armani-Gymnasium, noch konspirativ in Hinterzimmern unterrichtet werden.