Mit den Kranichen ins Bett

25.000 Kraniche machen gerade Rast in Diepholz. Eigentlich wollen sie nach Spanien, aber in der niedersächsischen Moorniederung gefällt es ihnen vorläufig ausgesprochen gut

Im Moor ist sicher schlafen. Denn Füchse sind wasserscheu

Seltsame Angewohnheiten haben sie, die Kraniche. Auf ihrem Flug runter nach Extremadura machen sie ausgerechnet in Diepholz Rast. Diepholz liegt zwar am äußeren Rand ihrer Hauptflugroute. Aber wenn Wind und Wetter günstig liegen, kann es passieren, dass mal eben einige tausend Kraniche im Diepholzer Moor landen.

„Mindestens 20.000, wahrscheinlich sogar 25.000 Kraniche“ hat Friedhelm Niemeyer von der Umweltschutz-Organisation BUND Anfang der Woche gezählt. 25.000 – so viele waren es noch nie in Diepholz. Und damit begann auch gleich der Medienrummel: Kamerateams buchten die Biologen vom BUND, so lange im Tageslicht auch nur ein bisschen Gefieder zu sehen war.

Richtig dicht ran kommt man an die Zugvögel allerdings nicht. Und 25.000 Kraniche auf einem Schlag kriegt man hier auch nicht zu sehen. Die großen grauen Vögel (1,20 Meter hoch, Flügelspanne 2,50 Meter) haben sich nämlich im Moor und den Äckern rund um Diepholz verteilt – ganz privatissime in Tausendergrüppchen.

Dafür aber hört man sie schon von weitem: Lautes Schreien – die Ruhe im Moor ist mit einem Schlag vorbei, wenn rund 4.000 Kraniche in die Luft gehen. Für einen Moment sieht es dann so aus, also wollten die Tiere den Himmel anheben. Und nur Sekunden später haben sie bereits Formation eingenommen. Wie Perlenschnüre ziehen die Vögel dann durch die Dämmerung – zum Fress- respektive Schlafplatz.

Und da ist noch so eine seltsame Angewohnheit: Am späten Nachmittag schon ist Schicht bei Familie Kranich. Dann heißt es: Runter von den Maisfeldern, ab ins Bett. Bis zu 15 Kilometer fliegen die Kraniche in ihre schummrigen Schlafgemächer. „Im Moor sind sie sicher vor Füchsen und Wildschweinen“, sagt Niemeyer. Dort ist es den Vierbeinern nämlich viel zu feucht.

Mit seinen 7.000 Hektar Moorlandschaft hat Diepholz den Kranichen tatsächlich eine ganze Auswahl an Schlafgemächern zu bieten: Mit Wollgras und Moospflänzchen soweit das Auge reicht, dazwischen immer wieder kleine Tümpel und flache Seen. Dazu gibt es abgeerntete Felder in der näheren Umgebung, mit liegengebliebenen Maiskörnern en masse. Ein idealer Rastplatz also. Vor zwei Jahren hatten die Kraniche schon einmal Diepholz als Zwischenstopp zwischen Skandinavien und Spanien entdeckt. Ganz glauben wollte das damals keiner, erklärt Niemeyer. Im letzten Jahr ist der BUND zum Beweis mit vielen ehrenamtlichen Helfern zum Zählen angetreten. Und dann kamen doch nur 1.500.

Dieses Jahr aber scheint sich Diepholz auf den Kranich-Karten zu verewigen. Eine Woche sind die Tiere jetzt da. Eine weitere Woche könnten sie wohl noch bleiben, schätzt Niemeyer. „Genau weiß ich das aber nicht. Dass wissen wohl nicht mal die Kraniche selbst.“ Ihr Abflugplan richtet sich ganz pragmatisch nach der Witterung: Wenn es zu kalt ist, geht die Reise in den sonnigen Süden sofort weiter. Und auch wenn der Wind von Norden kommt, könnten die Tiere die Chance nutzen, mit ein bisschen Rückenwind kraftsparend weiterzureisen.

Dann würde wieder Ruhe einkehren im Moor – und auch in der BUND-Station. Friedhelm Niemeyer aber würde den Kranichen am liebsten hinterreisen. Nach Spanien, vielleicht sogar nach Marokko. Weit weg jedenfalls. Schließlich hat sich Luft-

hansa nicht umsonst den Kranich als Symbol fürs Fernweh gewählt.

Im nächsten Frühjahr aber, wenn die Kraniche zurück nach Skandinavien wollen, ist ein Zwischenstopp in Diepholz wohl eher nicht eingeplant, schätzt Niemeyer. Dann wollen die Viecher wahrscheinlich lieber schnell nach Hause. Und bei aller Liebe – bisher haben erst acht Paare die Diepholzer Moorniederung zur Heimat erkoren. bow

Das Projekt des BUND ist unter 05774-371 zu erreichen