Wie Grenzen übersprungen werden

Im Wahlprogramm will die Bremer SPD zur (Sanierungs-)Zukunft Bremens lieber nichts sagen. Der Wirtschaftsexperte Hickel zeichnet die Lage düster: „Widersprüche und Ineffizienzen“ belasten die Ökonomie der Region. Aber er hat eine „Vision“

Hickel: Eine Expertenkommission könnte heute die Region vereinen

Wenn im kommenden Frühjahr der Bremer Wahlkampf in seine heiße Phase tritt, dann werden die Parteien uns sagen, wie es ihrer Meinung nach weitergehen sollte in den nächsten vier Jahren. Auch bisher war die Frage, wo aufgrund der Sanierungszwänge gespart werden muss und wo wegen der Sanierungszwänge mit Millionensummen geklotzt werden darf, der rote Faden bremischer Politik. Wie also wird es weitergehen nach dem Ende der Sanierungs-Hilfen, deren letzte Rate für das Jahr 2004 ausgezahlt wird? Verlassen wir uns darauf, dass es aus der klammen Bundeskasse nur wegen eines vielversprechenden Kanzler-Briefes nochmals für ein oder zwei Jahre neue Sanierungshilfen geben wird? Und was, wenn es nichts gibt außer dem Hinweis, dass das ja nicht immer so weitergehen kann?

Diese zentrale Frage betrifft den politischen Gestaltungsspielraum. Im Entwurf des SPD-Wahlprogramms, hochtrabend „Bremen-Plan 2007“ genannt, findet sich dazu nichts. „Die Sanierung der Finanzen ist lange nicht abgeschlossen“, steht da. „Im Jahr 2004 wird die vorerst letzte Sanierungszahlung des Bundes überwiesen werden.“ Und? Was folgt aus diesen Tatsachen? „Wir halten an dem Ziel fest: Ab 2005 soll das Land einen verfassungskonformen Haushalt vorlegen.“ In dem 64 Seiten starken Entwurf kommt dann das Wort „Sanierung“ beim Wohnungsbestand, bei Fahrradwegen und im Straßenbau vor.

In einem Vortrag hat der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel jüngst die Lage ungeschminkt beschrieben. „Widersprüche und Ineffizienzen“ belasteten die Ökonomie der Region, das „Haupthindernis der Entfaltung einer einigermaßen homogenen Regionalökonomie Unterweser“seien dabei „die politisch-staatsrechtlichen Grenzziehungen. Sie führen in vielen Fällen zu Wohlfahrtsverlusten durch Kleinstaaterei und Kirchturmpolitik.“ Bremens Landesgrenze wirke wie „eine Barriere“, schreibt Hickel.

Bremens Problem, „Hauptstadt ohne Umland“ zu sein, schlage sich letztlich in der Staatskasse nieder: „Dem Stadtstaat fehlen die Finanzmittel, die vergleichbare Landeshauptstädte (etwa München für Nationaltheater und Hochschulen) aus dem Landeshaushalt erhalten.“ In den 90-er Jahren hatte der Bremer Finanzsenator Ulrich Nölle das Ende der Suburbanisierung verkündet – Bremen sollte um 50.000 Köpfe wachsen. Experten lächelten damals schon über die mutige Modellrechnung zur Vermehrung der bremischen Staatseinnahmen. Denn Tatsache ist: Bremen schrumpft wie alle deutschen Großstädte, mal weniger, mal mehr. Wie ein „ehernes Gesetz“ knabbere die Suburbanisierung an den Kassen der Kommunen.

Der „Status quo“, schreibt Hickel, sei erbitterte Bürgermeisterkonkurrenz an der Landesgrenze. Die Besserverdienenden würden, auch wenn sie in Bremen ihren Arbeitsplatz finden, ihr Häuschen im Grünen bauen und die teure Infrastruktur der Stadt nutzen. „Kaum mit Erfolg verbunden wäre eine Strategie, in Bremen Erwerbstätige aus dem Umland zurückzuholen“, schreibt Hickel in seinem Thesenpapier. In die Stadt ziehe es überproportional Sozialhilfeempfänger und Stundenten, die keine Steuern zahlen.

Soweit die schonungslose Beschreibung des Zustandes. Guter Rat ist da teuer. „Die Utopie einer Wirtschaftsregion Unterweser hat erst konkrete Chancen, wenn die als Barrieren wirkenden Staatsgrenzen übersprungen werden“, formuliert Hickel. Er weiß, wie das nicht geht: durch Eingliederung des Speckgürtels würde Bremen die Vergünstigungen aus dem Länderfinanzausgleich verlieren. Bei einer Verschmelzung mit Niedersachsen müsste Bremen zudem mit Göttingen und Braunschweig um den kommunalen Finanzausgleich streiten. Was tun?

Den Hinweis, Bremen kooperiere ja schon seit Jahren mit dem Umland, wischt Hickel weg: Gerade mal „besser als nichts“ seien die bisherigen Abkommen zu gemeinde- und länderübergreifenden Kooperationen gewesen, aber die Entwicklungsbarrieren konnten damit „nicht abgebaut werden“.

Es bleibt ein Weg, aber auch der sei „schwer durchsetzbar“: „Verbindliche Zusammenarbeit der Gemeinden, Kreise und Regierungsbezirke sowie des Zweistädte-Staats Bremen/Bremerhaven – so als seien die Landesgrenzen nicht mehr vorhanden.“ Die Landesgrenzen sollen also bleiben, damit das Land Bremen als Städtestaat die Bundesmittel bekommt. Regionalökonomisch sollen sie durch Verträge praktisch aufgehoben sein.

Für Hickel gibt es nur einen Experten, der zur Jahrtausendwende 1999/2000 dazu ein kluges Konzept vorgelegt hat: der Chef von Henning Scherfs Senatskanzlei, der Jurist Dr. Reinhard Hoffmann. Dieses Konzept hatte aber schon vor zwei Jahren einen Haken: Die Umland-Gemeinden, die Finanzmittel an Bremen abgeben sollten, konnten nicht erkennen, wo sie bei diesem Konzept etwas gewinnen können. Und wer vor allem kurzfristige Nachteile sieht, unterschreibt keinen Vertrag.

Das „Hoffmann-Papier“ verschwand nach Protesten der Umland-Bürgermeister in einer Schublade. Hickel meint, eine „Expertenkommission“ könnte heute besser als Hoffmann damals „die Grundlagen und Schritte der Umsetzung prüfen“.

„Fazit: Es gibt eine Vision für die Unterweserregion. Die Wirtschaftsregion hat große Chancen ökonomisch, sozial und kulturell zusammenzuwachsen.“ Das Problem sind die Landesgrenzen, die irgendwie „übersprungen“ werden müssen. Das wäre, nebenbei bemerkt, eine Formel, die im SPD-Wahlprogramm nicht weiter auffallen würde.

Klaus Wolschner