Der Schatz der Eigeninitiative

Versorgung West: Auf der ersten Berliner Zukunftskonferenz für Jugendliche zerbrechen sich Sozialarbeiter und Kiezaktivisten den Kopf über bessere Chancen für Neukölln. Motto: Wenn Geld fehlt, müssen die Betroffen ran

„Wenn ich ehrlich bin, habe ich heute Morgen für das Gelingen dieser Konferenz gebetet.“ Diese sonntägliche Beichte des bekennenden Katholiken Peter Becker löst Beifall in der „Manege“ aus, einem ganz und gar weltlichen Jugendklub im Neuköllner Norden.

Die Applaudierenden – an die 60 Sozialarbeiter, Lehrer, Psychologen, Polizisten und andere Kiezaktivisten mittleren Alters – haben allerdings mit Kirche eher weniger im Sinn: Die Teilnehmer der 3-tägigen Veranstaltung mit dem wenig bescheidenen Titel „Zukunftskonferenz Jugend“ befassten sich damit, Chancen und Lebensbedingungen von Neuköllner Kindern, Jugendlichen und Familien zu verbessern.

Dass die Konferenz ein Erfolg war, darin sind sich die Veranstalter vom „Aufbruch Neukölln“, einem Zusammenschluss von Psychotherapeuten und engagierten Bürgern, und die Teilnehmer einig. „Wir haben hier einen riesigen Schatz gehoben“, sagt die Mitorganisatorin Barbara Herzig-Martens vom Bezirksamt Neukölln zum Abschluss, während die meisten Teilnehmer zustimmend nicken. „Wichtig ist, dass wir das jetzt behalten.“ Der Schatz – der ist das Ergebnis des Neuköllner 3-Tage-Brainstormings, das für andere Bezirke Vorbild sein könnte.

So hat sich eine Arbeitsgruppe Gedanken zum Thema Müll gemacht, insbesondere zum Unrat in der Stadtteilbibliothek. Immerhin 14 Kilogramm Müll fallen hier täglich an; ließe sich die Menge verringern, könnte Geld gespart und für mehr Bücher ausgegeben werden. Um die Hauptverursacher, die Jugendlichen, zu Müll vermeidendem Verhalten zu motivieren, organisiert die Arbeitsgruppe nun einen Aktionstag, der im Mai nächsten Jahres stattfinden könnte. Dann könnten Jugendliche 14 Kilogramm schwere Rucksäcke tragen üben – als sinnliche Erfahrung des Gewichts der täglichen Müllmenge.

Eine andere Idee des Neuköllner sozialpolitischen Think-Tanks: Wenn die Förderung der Volkshochschulkurse, in denen türkische Mütter Deutsch lernen, gestrichen wird, könnte der Unterricht in Eigenregie angeboten werden – etwa durch pensionierte Lehrer. Die Neuköllner ziehen auch eine Finanzierung der Kurse durch das Arbeitsamt oder türkische Unternehmer in Erwägung. „Die müssen doch auch ein Interesse an besseren Sprachkenntnissen haben“, sagt ein Teilnehmer.

Bei den meisten Konferenzideen wird das Wort „Eigeninitiative“ groß geschrieben – so sollen in Zeiten knapper Mittel Investitionen bezahlbar bleiben. Ein Vorschlag: Schulen und soziale Einrichtungen könnten ihrer Räume selber putzen. Das erinnert ein wenig an das DDR-Schulsystem – wie auch ein weiterer Vorschlag. Eine Arbeitsgruppe will aus einer ausgewählten Neuköllner Schule einen Ort machen, der auch nachmittags attraktiv für Kinder und Jugendliche ist. Engagierte Eltern oder Bürger aus dem Kiez sollen interessante Arbeitsgruppen anleiten. Fehlen also nur noch die Jugendlichen, die darauf Lust haben. Immerhin kam eine andere Arbeitsgruppe zu der Erkenntnis, dass es an kostenlosen Jugendfreizeiteinrichtungen im Kiez nicht mangelt. „Die Frage ist, ob unser Angebot auch immer der Nachfrage entspricht.“ Wenigstens in dieser Hinsicht dürften sich Sozialarbeiter und Pfarrer einig sein.

RICHARD ROTHER