dünn, dünner, am dünnsten von RALF SOTSCHECK
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Der junge Mann gähnt in meinen Kaffee, den er mir gerade gezapft hat. Dadurch wird die dünne Pulverbrühe nicht besser. Nun kommt der müde Mann, der noch dünner als der Kaffee ist, ins Schwitzen, weil er den schweren Getränkewagen weiter durch den Gang schieben muss. Wir sind in der Eisenbahn von Galway an der irischen Westküste nach Dublin im Osten.

Das irische Streckennetz ist noch dünner als der Kaffee und der junge Mann. Von Dublin aus führen vier Strecken ins Land, einige davon gabeln sich später. Das scheinen für Iarnród Eireann, die staatliche Bahngesellschaft, immer noch zu viele zu sein. So hat man sich offenbar vorgenommen, die verbliebenen Fahrgäste zu vergraulen. Die Fahrpreise sind verblüffend hoch, aber dafür bekommt man manchmal keinen Sitzplatz, denn Reservierungen gibt es nicht. In unserem Zug sind sämtliche Toiletten außer Betrieb, was mir in Anbetracht des dünnen Kaffees Sorgen bereitet, zumal der Zug aus unerfindlichen Gründen mehrmals auf offener Strecke stehen bleibt. Ein anderer Zug, der die Gleise blockiert, kann jedenfalls nicht Schuld daran sein – dazu gibt es zu wenige. Auf manchen Strecken fahren sechs Züge in der Woche.

Durch einen ausgeklügelten Fahrplan ist sichergestellt, dass es garantiert nirgendwo Anschlusszüge gibt – außer in Limerick Junction. Dort wartet der Zug von Limerick nach Waterford, immerhin zwei der größten Städte Irlands, 63 Minuten auf einen anderen Zug. Die Passagiere müssen sich genügend Verpflegung mitnehmen. Darüber hinaus sind die auf dieser Strecke eingesetzten Lokomotiven 40 Jahre alt, die Waggons hingen vermutlich schon an den Vorgängerinnen. Der Zug schafft eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 40 Kilometer in der Stunde – und bald nicht mal mehr das: Diese Strecke und eine weitere werden stillgelegt.

Und wo man schon mal dabei ist, will Iarnród Eireann auch die Strecken schließen, die für den Frachtverkehr benutzt werden. Dann kann man die 24 neuen Container, die man im vergangenen Dezember für drei Millionen Euro in Finnland eingekauft hat, zum Altmetall geben. Sie müssten eigentlich noch ein paar Euro einbringen, sind sie doch so gut wie neu. Iarnród Eireann hat damit lediglich ein paar Probefahrten gemacht. „Von der Schiene auf die Straße“, lautet das Motto der Bahngesellschaft. Die Folgen für die Straßen seien vernachlässigenswert, meinte ein Sprecher, die paar zusätzlichen Laster seien zu verkraften. Die paar Laster? Es sind 400 Stück täglich, die für den Schienenersatzverkehr notwendig wären. Ein Drittel davon würde durch die Hauptstraße des kleinen Ortes Cashel fahren, weil der an einem Verkehrsknotenpunkt liegt. Die Bewohner können vor lauter Vorfreude kaum an sich halten.

Wenn Iarnród Eireann ihr Ziel erreicht und auch die letzte Strecke dicht gemacht hat, ist wenigstens der dünne junge Mann erlöst und muss nicht mehr sein mobiles Pulverkaffeeungetüm durch die engen Gänge schieben. Vielleicht kann er dann ja in Cashel ein Truckercafé aufmachen.