Zu wenig Zugriff

Mit dem 0:1 gegen Hertha endet Hannovers Serie niederlagenfreier Spiele sowie Bobic` Tortreffsträhne

HANNOVER taz ■ Es war der aufmerksamere Nachbar linker Hand, der es merkte: Der Schiri hatte noch kein Foul gepfiffen. Sieben Minuten gespielt und kein einziges Foul, auch keines, das unbemerkt geblieben war. Der große Zeiger drehte drei weitere Runden, bis sich ein Herthaner erbarmte und gegen Bobic regelwidrige Methoden anwendete. Danach folgten fünf weitere Minuten ohne Foulspiel. Diese friedvolle Viertelstunde verbrachten Hertha und 96 aber nicht etwa mit Nichtstun, sondern spielten hochorganisierten Fußball, der beinahe so aussah, als sei das ganz einfach.

Direkt, schnell und präzise lief der Ball hin und her, wobei die Hannoveraner eine Idee weniger direkt, schnell und präzise kombinierten als die Berliner. Was die nämlich in ihrem Drang nach vorne inszenierten, machte einen so starken Eindruck, dass Dieter Hoeneß später sagen durfte: „besser kann man nicht spielen“, und man ihm spontan erst mal nicht grundsätzlich widersprechen wollte. Mit dem, was Hertha zeigte, können die diversen Investoren zufrieden sein, die in der Hauptstadt partout einen Fußballklub von Weltniveau züchten wollen. Eine schreckliche Ahnung lag in der Luft: Lässt sich Erfolg etwa doch kaufen?

Auch das Tor der Berliner in der 17. Minute war das Ergebnis einer glänzend fixen Kombination, die live nur perplex zu bestaunen war und erst auf Video zu genießen. Wie solche Situationsverläufe die Reporter in einer geringer technisierten Epoche auseinander klamüsert haben, das bleibt dem Laien ein Rätsel: Alves, am Strafraum stehend, spielte zurück zu Marcelinho, der nach wenigen machtvollen Schritten sich revanchierte und wiederum Alves steil in die Gasse schickte, dessen Hereingabe Goor ohne weitere Umstände ins Tor drückte. „Wir hatten Probleme, Zugriff zu kriegen“, meinte 96-Trainer Rangnick hinterher über die erste Hälfte des Spiels.

Und was war mit …, nein, nicht mit Bob, sondern mit Bobic? Ja, man war gespannt, denn die meist gestellte User-Umfrage-Frage der vergangenen Woche hatte gelautet, ob die Nation Fredi Bobic in ihrer Auswahl sehen wolle oder nicht. Nach Rudi Völlers Ratschluss zeigte der Daumen nach unten, den Acht-Tore-in-acht-Spielen-Stürmer will der Teamchef vorerst nicht. „Keine Perspektive“, jedenfalls offenbar keine, die der von Jancker entspräche. Aber fühlte sich davon irgend jemand in Hannover persönlich beleidigt? Gekränkt? Nicht die Spur. Die Abweisung juckte die als abweisend geltenden Niedersachsen überhaupt nicht weiter, zumal ein schlimmeres, mitten ins Herz dringendes Unheil droht: Trikotsponsor TUI will die Mannschaft auswärts in blaue Trikots stecken! Die Roten in BLAU! „Wo bleibt die gelbe Hose?“ fragte ein Transparent in Anspielung auf die Vereinsfarben des Lieblingsfeindes Eintracht Braunschweig, und etliche andere Fangruppen hatten sich auch was einfallen lassen: Von „Auswärts blau – das sind nur die Fans“ bis „TUI ist Dreck“.

Bobic wiederum hatte zwei Chancen von der Sorte, die er sonst gerne verwandelt, aber er, darauf wies Rangnick später korrekt hin, ist eben „keine Tormaschine“. Bei der ersten Möglichkeit hatte der unermüdlich wirbelnde Stajner passgenau Bobic angespielt, der frei vor Kiraly übers Tor zonkte. Bobic` Gestik ließ sich entnehmen, dass der Ball versprungen war. Insgesamt stand Hertha nun zwar permanent unter Druck, stand aber auch „hinten fantastisch“ (D. Hoeneß), so dass die Stevenssche Null ebenfalls stand und stehen blieb wie in drei anderen von sieben Auswärtsspielen.

„Gegen viele andere Mannschaften hätte das gereicht“, grübelte ein leicht enttäuschter Rangnick anschließend und beschwerte sich insbesondere über den Umgang seiner Mannschaft mit den Gelegenheiten, die man gemeinhin Standardsituationen nennt. Es endete also die kleine Serie von vier Spielen ohne Niederlage für den Aufsteiger. Ein anderes statistisches Manko macht den 96-Fans etwas mehr Sorgen: Von sieben Heimspielen nur eines gewonnen. Bedauerlicher als der Umstand, dass hier aus Platzgründen nichts mehr über den Hertha entsprechenden hannoverschen Verein, den TTC Helga, gesagt werden kann.

DIETRICH ZUR NEDDEN