Superreformer Rürup prescht vor

Kaum ist Bert Rürup zum Chef der großen Reformkommission der Sozialversicherungen ernannt, sendet er auf allen Kanälen. Auf seine Ministerin nimmt er dabei wenig Rücksicht. In der SPD kommt Skepsis auf: Ist der Querkopf überhaupt der Richtige?

von JEANNETTE GODDAR

Man fragt sich, wer da eigentlich mit wem streitet. Wenn die Riester-Rente als private Vorsorge nicht massenhaft genutzt werde, müsse man über eine Zwangsversicherung nachdenken, sagt die eine. „Eindeutig verfrüht“, sagt der andere. Die Deutschen würden schon lernen, sich eigenverantwortlich um ihre Altersvorsorge zu kümmern.

Die eine, das ist die Ministerin für Gesundheit und Soziales, Ulla Schmidt (SPD). Der andere ist mitnichten ihr christlich-sozialer Widersacher Horst Seehofer. Sondern ihr Parteigenosse Bert Rürup – jener Mann, der Schmidts neue Superkommission leiten soll.

Die Besetzung der „Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“ ist noch nicht einmal bekannt, da lassen sich Rürups Positionen schon allerorten finden. In zahllosen Interviews und Beiträgen tut er sie kund – und lässt dabei kaum ein gutes Haar an der Politik seiner Auftraggeberin.

Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze bei der Rente hält er für „konzeptionslos“. Er sagt: „Das hätte ich so nie gemacht!“ Besser wäre es, so Rürup, von 2011 bis 2030 das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 anzuheben.

In der Gesundheitspolitik sind seine Vorschläge noch umwälzender: Weg mit den einkommensabhängigen Krankenkassenbeiträgen, fordert er. Stattdessen solle jeder eine „Kopfpauschale“ von 200 Euro bezahlen. Dadurch entstehende Ungerechtigkeiten sollten das Steuersystem sowie Transferleistungen ausgleichen. Gesetzliche Kassen sollten nur noch für Basisleistungen zuständig sein, für „Wahlleistungen“ von Akupunktur bis Zahnersatz möge man sich privat versichern.

Nun ist der 59-jährige Finanzwissenschaftler, der auch schon die CDU-Regierung beriet – von Rürup etwa stammte Norbert Blüms demografischer Rentenfaktor –, zwar im Besitz eines SPD-Parteibuchs. Dennoch war übertriebene Nähe zu sozialdemokratischen Urpositionen nicht zu erwarten. Wofür Rürup steht, kann man seit Jahren an seiner Arbeit ablesen. Ob als Finanzwissenschaftler, Wirtschaftsweise, Rentenexperte oder Mitglied des Sozialbeirats der Bundesregierung – immer steht Rürup für eines: dass die sozialen Sicherungssysteme ohne einen radikalen Kurswechsel vielleicht stückchenweise zu reformieren, aber letztlich nicht zu retten seien.

Dass das so manchem SPD-Ordnungspolitiker zu weit gehen würde, war ebenfalls zu erwarten. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karl Hermann Haack, war jetzt der Erste, der auf Rürups lautstarken Dienstantritt reagierte. Haack teilte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit, führende Fraktionsmitglieder seien der Auffassung, Rürup möge sich „entsprechende Zurückhaltung“ auferlegen. Laut FAZ gibt es bereits Überlegungen, ihm den Auftrag zu entziehen. Ein Sprecher des Sozialministeriums erklärte, man halte an Rürup fest: „Und dabei bleibt es auch.“